Christopher Hitchens: Die Akte Kissinger

Indochina, Chile, Zypern, Osttimor – die Auflistung dieser Länder spricht Bände. Und überall hatte Kissinger seine (dreckigen) Finger drin, war darauf bedacht, seine persönlichen Eitelkeiten zu befriedigen, machte lukrative Geschäfte und all das auf Kosten von unzähligen Menschenleben. Hitchens hat damals (2001) mit dem Buch die Hoffnung verbunden, dass man Kissinger wegen all dieser Verbrechen würde belangen können (er hat selbst immer bewusst provokativ formuliert, um einen Prozess wegen übler Nachrede zu provozieren), diese Hoffnung hat sich allerdings zerschlagen. Im Gegenteil: Die deutsche Bundesregierung hat sich 2013 nicht entblödet, eine Stiftungsprofessur (an der Uni Bonn) einzurichten. Kissinger verstand es trotz all seiner Machenschaften über die Jahre, sich einen untadeligen Ruf zuzulegen – ein hervorragender Apostel seiner selbst, dem es gelang, alle ihn betreffenden Dokumente unter Verschluss zu halten (sie werden frühestens 5 Jahre nach seinem Tod veröffentlich). Letzteres könnte diesem Ruf ein wenig schaden, obschon es längst genug Material gibt, dass „den kleinen, dicken Scheißer“ (Joseph Heller) in einem weniger vorteilhaften Licht erscheinen lässt.

Vielleicht kann nichts besser seine Haltung zu Menschenrechten und demokratischen Werten dokumentieren als seine Äußerung über das Massaker am Platz des himmlichen Friedens von 1989: „China sei viel zu wichtig für die amerikanische, nationale Sicherheit, als dass man die Beziehung wegen tagesaktueller Gefühle aufs Spiel setzen sollte.“ Und er fährt fort, dass es „keine Regierung der Welt tolerieren würde, wenn der wichtigste Platz ihrer Hauptstadt für acht Wochen von Zehntausenden Demonstranten besetzt wird“. Dazu muss man wissen, dass dieses Massaker für Kissinger zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt stattfand, hatte er doch erst sechs Monate zuvor eine Gesellschaft namens „China Ventures“ gegründet, weshalb ihm die danach vom Kongress verhängten Sanktionen denkbar ungelegen kamen.

Andere Intrigen sind besser bekannt: So die Torpedierung der Pariser Friedensgespräche 1968, die den Vietnamkrieg beenden hätten können, um die Wahlstrategie des demokratischen Kandidaten Humphrey (der mit diesem Friedensprozess hoffte punkten zu können) zu desavouieren und Richard Nixon zum Präsidenten zu küren (unter dem Kissinger Sicherheitsberater und Außenminister wurde; im Gegensatz zu seinem Präsidenten und Justizminister Mitchell überlebte Kissinger sogar Watergate weitgehend unbeschadet). Oder das erste 9/11 der Geschichte, der Sturz der Regierung Allende und die Inthronisierung von General Pinochet, bei der Kissinger ebenfalls federführend war; an der Ermordung von René Schneider (einem regierungstreuen und einflussreichen General) war die CIA nachweislich beteiligt (und der Sicherheitsberater informiert). Der von den USA gestützte Pinochet hat mindestens so viele Menschen ermordet (bzw. ermorden lassen), wie bei den Anschlägen 28 Jahre später in New York ums Leben kamen (und nein, das eine soll das andere nicht entschuldigen: Der Unterschied besteht darin, dass Osama bin Laden für seine Verbrechen ermordet wurde, ein Unterstützer dieser MIlitärdiktatur wie Henry Kissinger aber mit einer Stiftungsprofessur geehrt wird, was dem guten Osama noch nicht einmal in arabischen Diktaturen gewährt wurde).

Die Aufzählung dieser Verbrechen stoßt ab, erinnert aber mit Nachdruck an die Methoden einer Weltmacht, die nur allzu gern vorgibt, sich für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Der Unterschied zu anderen militärischen Weltmächten wie Russland (bzw. der Sowjetunion) oder China besteht genau in dieser moralischen Heuchelei, während für die mit diesen Mächten konfrontierten Länder eine Differenz wohl schwer auszumachen sein wird. Und in mancher Hinsicht ist eine solche Heuchelei noch abstoßender denn das Verhalten von China oder Russland: Weil es der Meinung einer generellen Verworfenheit der Politik Vorschub leistet und auch diejenigen in Misskredit bringt, die noch einen Funken Anstand oder Moral für sich beanspruchen können. Der wirklich wesentliche Unterschied zwischen den USA und den Autokratien besteht hingegen in deren eigener Verfassung: Die es wahrscheinlich erlaubt, selbst die Präsidentschaft derart irrwitziger Figuren wie Donald Trump einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Aber das sind glückliche Umstände: Ich glaube kaum, dass irgendjemand Donald Trump (oder George W. Bush) für moralischer oder integrer hält als Wladimir Putin oder Xi Jinping (im Gegenteil: Trump mit einer derartigen Machtfülle wie die beiden letztgenannten ausgestattet würde mich mehr beunruhigen).

Das Buch hat leider sein Ziel verfehlt: Kissinger lebt auch heute noch hoch angesehen und von seinen Verbrechen wird man frühestens nach seinem Tod erfahren (wenn überhaupt, denn so manches wird wohl die „Sicherheitsinteressen“ der USA tangieren und noch lange nicht veröffentlicht werden). Dennoch halte ich es für wichtig, die Erinnerung an Ereignisse wie Vietnam, Chile oder Osttimor (oder auch Bangladesh, wo die US-Regierung ebenfalls eine Diktatur und einen Völkermord unterstützt hat) aufrecht zu erhalten. Wobei ich beim Lesen vor allem eines nicht verstanden habe: Wie jemand wie Hitchens ein glühender Befürworter des zweiten Irakkrieges werden konnte (nicht dass man Saddam Hussein auch nur eine Träne nachweinen sollte: Aber Verbrechen mit Verbrechen zu bekämpfen ist eine zweifelhafte Strategie). Lesbar und informativ für jeden, der sich für Zeitgeschichte interessiert.


Christopher Hitchens: Die Akte Kissinger. Stuttgart, München: DVA 2001.

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