George Soros: Für die Verteidigung der offenen Gesellschaft

In diesem letzten Sommer erschienenen Buch hat Soros einige Artikel gesammelt, die er im letzten Jahrzehnt geschrieben hat. Darunter sind Beiträge, die sein philanthropisches Engagement beleuchten (u. a. die Entstehung der Central Europe University (CEU), die ihren Hauptsitz vor kurzem von Budapest nach Wien verlegen musste), wirtschaftspolitische Analysen und ein „konzeptueller Rahmen“, den er als seine „Philosophie“ bezeichnet.

In den eher politisch orientierten Passagen warnt Soros – was im Titel bereits anklingt – vor den geschlossenen Gesellschaften bzw. vor deren Vertreter: Putin, Xi Jinping oder Erdogan und Orban, wobei letzterer (Treppenwitz der Geschichte) ein Stipendium der Soros-Stiftung genutzt hat, um in England zu studieren. Er hält vor allem die beiden Erstgenannten für gefährlicher als zumeist im Westen angenommen und verleiht dieser Kritik in deutlichen Worten Ausdruck, indem er etwa Europa für seine zögerliche und feige Haltung bei der Besetzung der Halbinsel Krim sowie beim gesamten Ukraine-Konflikt anklagt. Und so falsch liegt er mit dieser seiner Kritik nicht (im übrigen ist es ein – wenn auch ungewolltes – Verdienst von Trump, die Europäer auf ihre etwas scheinheilige Haltung bezüglich militärischer Konflikte hingewiesen zu haben bzw. auf die Tatsache, dass wir – leider – immer noch in einer Welt leben, in der Sicherheit nicht unwesentlich mit militärischer Stärke verbunden ist), weil beide Staatsmänner schon hinlänglich bewiesen haben, dass sie ihre Ziele nach Möglichkeit auch mit Gewalt durchzusetzen bereit sind (Putin in Georgien, Tschetschenien oder der Ukraine, China im südchinesischen Meer).

Ein anderes Kapitel ist dem Aufbau der CEU gewidmet, einem geldintensiven Steckenpferd des Milliardärs, wobei es sich hier nicht um eine durchgehende Erfolgsgeschichte handelt. Soros räumt zwar auch Fehler ein, wirkt aber in vielen Passagen recht selbstgefällig (darf man das sein, wenn man fast eine Milliarde Dollar in dieses Projekt investiert hat?), eben so, wie man sich einen Menschen mit viel wirtschaftlicher Macht vorstellt. Diesen Widerspruch zwischen Philanthropie und Investmentbanker thematisiert er auch in Bezug auf sich selbst, ohne aber zu einer für mich akzeptablen Auflösung zu gelangen. Selbstredend ist es besser, mit den enormen Geldmengen solche Projekte zu unterstützen (wie etwa auch Bill Gates) als das nicht zu tun, andererseits aber hat genau diese enorme Geldmacht damit zu tun, dass die Welt auf derlei Philanthropie angewiesen ist. Wenn Gates die Malaria in Afrika bekämpft, so ist dies lobenswert, wenn sein Konzern hingegen über Jahrzehnte durch aggressive und unlautere Mittel sich Wettbewerbsvorteile verschafft, so haftet dem nun in philanthropischen Projekten investierten Geld ein Geruch an, der auf ökonomische Abhängigkeiten, in Konkurs getriebene Unternehmen verweist (was denn auch mit milliardenschweren Strafzahlungen nie wirklich gesühnt werden kann).

Das letzte Kapitel widmet Soros seiner „Philosophie“, wobei er darunter ein an Popper orientiertes Konzept versteht, das die Reflexivität der Sozialwissenschaften und insbesondere der Ökonomie betont. Dieser ganze Aufsatz liest sich gut, obschon der Autor seinem Mentor Popper einige Ansichten unterstellt, die dieser so nie geäußert hat (Popper hat etwa – im Gegensatz zu Soros‘ Aussage im Buch – stets betont (z. B. im „Elend des Historizismus), dass die naturwissenschaftliche Methodologie nicht einfach auf die Sozialwissenschaften angewandt werden kann und dafür sogar ein Beispiel bemüht, dass Soros bekannt sein müsste, nämlich die Unvorhersagbarkeit von Finanzmärkten). Soros wendet sich vor allem gegen die Konzepte der orthodoxen Ökonomie, die weitgehend auf effizienten Märkten und rational handelnden Marktteilnehmern beruhen. Sein Konzept der Reflexivität betont dagegen die Wichtigkeit der positiven und negativen Rückkoppelungen, der Tatsache, dass in den Sozialwissenschaften der handelnde Akteur einen enormen Einfluss auf die „objektive“ Welt haben kann. Ob das alles nun so neu ist, möchte ich bezweifeln: Vom rationalen Konsumenten ist man schon länger abgekommen, weshalb die Beurteilung von Märkten nach rein rationalen Gesichtspunkten längst auch an Bedeutung verloren hat (bzw. man die Unwägbarkeiten im Verhalten der Marktteilnehmer in die Vorhersagen einzubeziehen versucht).

Insgesamt ein Buch, das für mich keinen großen Erkenntnisgewinn brachte: Über das Leben von Soros, seine Aktivitäten erfuhr ich wenig Neues, anderes hinwiederum bleibt bloß Spekulation. So etwa die Kritik am Verhalten der Regierungen bzw. der verantwortlichen Personen während der Finanzkrise 2008, über deren Berechtigung man selbst post festum geteilter Meinung sein kann. Da man z. B. nur sehr schwer beurteilen kann, ob die (nicht erfolgte) Eigenkapitalaufstockung von Banken tatsächlich so viel besser gewesen wäre als der Kauf wertlos gewordener Positionen durch staatliche Stellen. Ich hielte eine Regelung des Finanzmarktes in einer Form für notwendig, die bestimmte Geschäfte verbietet (weil sie auf die Realwirtschaft keinen (positiven) Einfluss haben) bzw. viel strenger reguliert, um derlei platzenden Blasen zuvor zu kommen. Aber zu einer kapitalistischen Systemkritik konnte sich Soros denn doch nicht durchringen.


George Soros: Für die Verteidigung der offenen Gesellschaft. Kulmbach: Börsenmedien AG. (ebook)

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