Ian Fleming: Chitty Chitty Bang Bang

007 hat mir nie viel gesagt – weder als Buch noch als Film. Dabei verbindet man den Namen des Autors Ian Fleming wohl zuallererst mit dem Agenten im Dienste Ihrer Majestät, der das Unmögliche möglich zu machen pflegte. Ich für meinen Teil habe aber nur, wenn ich mich recht erinnere, als Jüngling über / mit James Bond sowohl einen Film gesehen, wie zwei Bücher gelesen, bei einem der Bücher handelte es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten. Mir fiel auf, dass im Buch die Figur des Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten viel düsterer angelegt ist, als es der Film herüber brachte. (Es war einer der alten Filme, noch mit dem kürzlich verstorbenen Sean Connery als 007.) Der Buch-Bond zweifelte mehr an sich, als der Film-Bond, war aber auch Sex-getriebener als dieser. Alles in allem aber waren beide nicht nach meinem Geschmack.

Schon damals kam mir aber das vorliegende Buch in die Finger. „Schon damals“, oder „erst damals“, wie man will. Denn eigentlich handelt es sich ja bei Chitty Chitty Bang Bang nach der Meinung des Verfassers um ein Buch für Kinder zwischen 7 und 10 Jahren – eine Einschätzung, die ich nach der erneuten Lektüre durchaus teilen würde. Ich habe mich aber damals als Jüngling bei der Lektüre von Chitty Chitty Bang Bang durchaus amüsiert; ich habe mich auch dieses Mal köstlich amüsiert.

Im Grunde genommen sind es ja drei Bücher, die Ian Fleming verfasste mit dem Auto Chitty Chitty Bang Bang als Hauptperson – einem alten Rennauto, das manchmal selber denkt und handelt. Doch es sind jeweils recht schmale Büchlein; jedes umfasst in meiner Ausgabe ziemlich genau 50 Seiten. Die drei Bücher (oder Adventures, also ‘Abenteuer’, wie Fleming sie nennt) bauen aufeinander auf; in dem Sinn, dass das erste und das zweite Buch mit dem aufhören, was man üblicherweise auf Neudeutsch einen ‘Cliffhanger’ nennt – ein Ausdruck, der bei Chitty Chitty Bang Bang beinahe wörtlich genommen werden kann. Nur am Ende des dritten entschwindet die Familie Pott mit ihrem Wunderauto in die Luft, und kein Mensch weiß wohin sie fliegen – nicht einmal der Erzähler. (Dass Fleming sich hier widerspricht, weil er ein paar Seiten vorher gerade noch gesagt hatte, dass die Potts und die Familie Bon-Bon aus Paris zeit Lebens Freunde geblieben sind – der Erzähler also doch etwas aus der Zukunft der Potts wissen musste – bleibe für einmal unerwähnt.)

Die drei Bücher weisen auch ein sich steigerndes Grusel- oder Angstpotenzial für Kinder auf. Im ersten Buch geht es zunächst darum, wie das Auto Chitty Chitty Bang Bang in die Familie Pott gekommen ist und danach macht man gemeinsam einen Ausflug an die See, um zu baden, wie es Millionen von Engländern im Sommer bei schönem Wetter tun. Um eben dieser Masse auszuweichen, fliegt Chitty Chitty Bang Bang auf eine Düne im Ärmelkanal, die nur bei Ebbe aus dem Wasser schaut, und wo die Familie ganz alleine baden und picknicken kann. Ein absolut harmloses Abenteuer, nur, dass am Schluss die Flut langsam höher steigt und die Düne mitsamt Auto und Familie zu verschlingen droht. Buch 2 erzählt, wie Chitty Chitty Bang Bang alle aus dieser Gefahr rettet, indem sie sich in ein Motorboot verwandelt. Statt nach Hause reisen unsere Abenteurer Richtung Frankreich. Wegen der starken Strömung im Kanal verpassen sie das anvisierte Calais und müssen sozusagen notlanden an einem verlassenen Stück Küste. Auf der Suche nach trockenem Boden vor der Flut, die immer noch steigt, finden sie eine Höhle im Kalkstein und darin ein riesiges Lager an Waffen, Munition und Sprengstoff. (Interessant, nebenbei bemerkt, dass auch die Kinder der Familie – wie das Zielpublikum etwa 10 Jahre alt – sofort wissen, was ein Maschinengewehr, was ein Revolver oder was eine Pistole ist.) Sie erkennen, dass dieses Lager das Depot eines berüchtigten Bösewichts ist, verlassen es auf der Landseite und jagen es in die Luft. Dummerweise war der Bösewicht gerade auf dem Weg in sein Lager und hat gesehen, was die Fünf da machten. Chitty Chitty Bang Bang kann sie gerade noch davor retten, von ihm und seiner Gang erledigt zu werden. Man kommt nach Calais und übernachtet dort in einem Hotel. Erneuter Cliffhanger, weil die Gangster der Familie gefolgt sind. Buch 3 schließlich erzählt, wie die Gangster die beiden Kinder entführen, weil sie sie als Lockvögel bei einem Überfall auf den Süßigkeitenladen von Monsieur Bon-Bon in Paris verwenden können. In einer konzertierten Aktion gelingt es den Kindern und Chitty Chitty Bang Bang den Überfall zu verhindern und die Gangster der Polizei zuzuführen. Es geht also ein Spannungsbogen von einem harmlosen Ausflug ans Meer als erstem Abenteuer zu einer gefährlichen Aktion mit schwer bewaffneten Verbrechern. Kein Wunder, dass Fleming – obwohl er es zumindest angedacht hatte und auch sein Verleger es gewünscht hätte – kein weiteres viertes Abenteuer mehr hinzu fügen konnte.

Ton und Sprache des Buchs sind immer kindgerecht. Manchmal verwendet Fleming ein ‘kompliziertes’ Wort – nur, um es sogleich mit einem einfachen zu erklären und sich sozusagen über sich selber lustig zu machen, weil er das komplizierte verwendet hat. Manchmal erklärt der Erzähler auch ein bisschen die Welt – so, wenn er expliziert, dass in England die Distanzen nach Meilen, in Frankreich aber nach Kilometern gemessen werden. Da drückt ein bisschen das Platt-Pädagogische durch; es ist aber auszuhalten.

Das Buch ist fast 60 Jahre alt, das Auto noch älter. Es ist ein bisschen Nostalgie dabei, zu lesen, wie Vater Pott sein Automobil nicht nur mit Benzin betanken muss, sondern nach jeder größeren Fahrt auch Öl und Wasser kontrolliert, gegebenenfalls nachfüllt. Auch dass ein Motor heiß werden kann, wird heute kaum mehr beachtet. In den letzten 30 Jahren meines Lebens als Automobilist war diese Anzeige bestenfalls ein dekoratives Element auf dem Armaturenbrett (das bei Chitty Chitty Bang Bang noch ein wirkiches Brett ist, und viele, sehr viele Knöpfe, Hebel und Schalter aufweist!). Und vorher fuhr ich einen VW Käfer … Die Anzeige für die Öltemperatur ist schon lange verschwunden.

Nicht nur aus nostalgischen Gründen aber kann sich auch ein Erwachsener bei diesem Buch (oder eben eigentlich: bei diesen drei Büchern) nach wie vor prächtig amüsieren.

Zum Schluss noch dies, für die Süßigkeiten-Narren unter uns: Am Ende des Buchs gibt Fleming sogar das „Geheimrezept“ preis des Monsieur Bon-Bon für seine unnachahmlichen Fudges, die typisch englischen Weichcaramels. Fergus Fleming, Ians Neffe, erzählt in seinem Nachwort die Anekdote, dass sein Onkel zuerst ein anderes Rezept dafür geliefert hätte, das er von seiner Sekretärin erhalten hatte. Er vertraute ihr offenbar blind – nicht so die Leute vom Verlag, die das Rezept testeten, mit dem Resultat, dass sich die Bonbons als ungenießbar entpuppten. Fleming musste in aller Eile ein neues Rezept suchen und senden (wir sind in einer Zeit vor dem Internet!) …


Gelesen in der Ausgabe der Folio Society (London) von 2020, die mit den farbigen, großflächigen Original-Illustrationen von John Burningham ausgestattet ist, und ein Nachwort enthält über die Entstehungsgeschichte von Chitty Chitty Bang Bang, verfasst von Fergus Fleming, dem Neffen des Autors. (Der Text beruht ja auf Gute-Nacht-Geschichten, die Ian Fleming seinem Sohn Caspar erzählt hatte. Aber Caspar beging 1975 Selbstmord und kann sich nicht mehr zu den Abenteuern rund um Chitty Chitty Bang Bang äußern.)

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