Dünn sind sie geworden, unsere Horen, sehr dünn. Und damit meinen wir nicht einmal so sehr den Seitenumfang (obwohl das Dritte Stück des Jahrgangs 1797 auch von daher das schmalste ist, an das wir uns erinnern können), sondern vor allem den geistig-intellektuellen Gehalt.
Auch diese Nummer wurde mit Fortsetzungen notdürftig auf ein gewisses Minimalmass aufgeblasen. Funcks Lebensbeschreibung des Robert Guiscard, die wir noch vor zwei Monaten als erfrischend unprätentiöse Abwechslung zum Kurialstil des Goethe’schen Benvenuto Cellini empfunden haben, hat bereits vor einem Monat nur noch gelangweilt und ist auch in dieser Nummer nur schale Heldenverehrung. Die andere Fortsetzung dieser Nummer ist dann tatsächlich eben dieser Goethe’sche Benvenuto Cellini. Zu viel ist zu viel, und der Bramarbas Cellini hat uns schon viel zu lange in den Ohren getönt. Interessant sind höchstens jene Stellen, in denen Cellini einmal mehr im Streit und vor den Ohren seines fürstlichen Mäzens der Sodomie bezichtigt wird. Ich weiss nun nicht, ob und in welchem Masse seine Homo- bzw. Bisexualität den Cellini in akute Gefahr hätte bringen können, ob er für Leib und Leben hätte fürchten müssen oder nur um seine Aufträge, aber die gewitzte Art, wie Cellini den Vorwurf kontert,
O du Thor! sagte ich, du überschreitest das Maas; aber wollte Gott, daß ich mich auf eine so edle Kunst verstünde, denn wir lesen, daß Jupiter sie mit Ganimeden verübte, und hier auf der Erde pflegen die größten Kaiser und Könige derselben; ich aber als ein niedriges und geringes Menschlein wüßte mich nicht in einen so wundersamen Gebrauch zu finden.
Hierauf konnte sich niemand halten, der Herzog und die übrigen lachten laut und ob ich mich gleich bey dieser Gelegenheit munter und gleichgültig bezeugte, so wisset nur, geneigte Leser, daß mir inwendig das Herz springen wollte…
hat etwas. Sie erinnert, wie User Gontscharow im Forum festgestellt hat, an witzige Anworten, wie wir sie z.B. im Decamerone finden. (Ich vermute ja, dass Cellini seine schlagfertige Replik im Nachhinein erfunden hat, und eben durchaus in Erinnerung an solche Erzählungen aus der italienischen Literatur.)
Neben den beiden Fort- und Übersetzungen finden wir ein Lehrgedicht Boies, Die Stände. Ähnlich wie in Der Pilger vom selben Autor (s. die Dezember-Nummer von 1796) geht es auch hier um die Belehrung eines angehenden Monarchen, diesmal im orientalischen Mantel. Interessant ist an diesem Lehrgedicht höchstens, woher Boie seine Kenntnisse persischer Namen hatte – im Grunde genommen hätte der Inhalt ebenso auf den Seychellen oder in Timbuktu spielen können. Ich bezweifle arg, dass irgendein Vertreter der angesprochenen Stände sich durch Boies Gedicht auch nur in geringstem Masse angesprochen fühlen kann.
Schliesslich dann noch das Schreiben des Herrn Müllers Mahlers in Rom über die Ankündigung des Herrn Fernow von der Ausstellung des Herrn Professor Carstens in Rom. So kompliziert und ungeschickt der Titel tönt, so kompliziert und ungeschickt sind auch die tatsächlichen Verhältnisse, in die uns dieser Text stürzt. Nachdem Maler Müller ganz kurz versucht, die Anforderungen an einen Kunstkritiker festzuhalten (die im Grossen und Ganzen darauf hinaus laufen, dass auch ein Kunstkritiker im Grunde genommen Künstler zu sein hätte – womit er Fernows eher theoretische Begabung zu diskreditieren hoffte), schildert er dann anhand der Schilderungen Fernows die Gemälde Carstens. Das ist, da Maler Müller jede Begabung plastischer Schilderung abgeht, mühsam und unverständlich für den Leser, der Carstens Bilder nicht vor sich hat (und das muss die Mehrzahl der damaligen wie der heutigen Leser sein). Fernows Artikel, auf den sich Maler Müller bezieht, erschien im Teutschen Merkur. Goethe und Schiller hofften, dass aus der Veröffentlichung von Maler Müllers Artikel eine Art kunsttheoretischer Diskurs zwischen den beiden Publikationsorganen, bzw. zwischen Fernow und Maler Müller, entstehen würde. Da sie selbst aber nichts dazu beitrugen, den Diskurs anzufeuern, blieb es bei dieser Replik Maler Müllers.
Interessanter als der Artikel und als der nicht zustande gekommene Diskurs ist die Tatsache, dass wir uns hier mitten in Personalia der Weimarer Klassik gestürzt sehen. Maler Müller (der nicht nur Maler war, sondern auch Autor), gleichaltrig mit Goethe und zu den gemeinsamen Sturm-und-Drang-Jahren mit ihm befreundet, lebte seit geraumer Zeit in Rom. Dort allerdings entwickelte er sich künstlerisch in eine Richtung, die dem mittlerweile klassizistisch ausgerichteten Goethe nicht behagte, weshalb die Freundschaft sich bedeutend abkühlte. Carstens andererseits, zur selben Zeit wie Maler Müller in Rom, war Klassizist. Damit sollte er eine Art Leitfigur werden der 1860 gegründeten Weimarer Kunstschule, die mithalf, das „Silberne Zeitalter“ Weimars zu begründen. Fernow wiederum, den man hier anzustacheln wünschte, sollte 1803 durch Böttigers Vermittlung eine Professur in Jena erhalten und kein Jahr später Bibliothekar bei Anna Amalia werden. Neben Goethe, Schiller, Wieland, pflegte er Umgang mit Johanna Schopenhauer und ermutigte den jungen Arthur zum Studium. Fernow war an Goethes Winckelmann und sein Jahrhundert von 1805 beteiligt, später dann zusammen mit dem ‚Kunscht-Meyer‘ an der Herausgabe von Winckelmanns Gesammelten Werken. Er schrieb eine Biografie Carstens, so, wie nach seinem Tod Johanna Schopenhauer dann seine Biografie schreiben sollte. Durch Ankauf von Werken aus seiner Sammlung unterstützten Goethe und sein Herzog Fernow schon zu Lebzeiten, nach seinem Tod ermöglichten sie damit seinen Söhnen eine Ausbildung.
Viele Worte für wenig Inhalt. Personalia interessanter als Texte – das ist der Dritte Teil der Horen von 1797.
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