Catull: Sämtliche Gedichte

Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris.

Nescio, sed fieri sentio et excrucior.

Epigramm N° 85

Mit diesen beiden Zeilen – oder eigentlich sogar nur mit den ersten drei Wörtern – hat Catull literarischen Weltruhm errungen. Keinem vor oder nach ihm ist es gelungen, in dieser Kürze und Eindringlichkeit die Gefühle eines verschmähten Liebhabers zu schildern.

Dabei wollte Catull eigentlich mit anderem berühmt werden als mit seinen Epigrammen. Aber seine ‚großen‘ (und langen!) Gedichte sind allesamt sehr steif geraten. Nur in den Epigrammen und ein paar anderen kürzeren Gedichten, wo sich der Autor locker geben kann, sind ihm (satirische) Vignetten erster Güte gelungen.

Ich habe Catull damals im Gymnasium kennen gelernt, und zwar nicht nur mit seinen harmloseren Gedichten. Unser Lateinlehrer war offenbar der (durchaus korrekten!) Meinung, dass Jungs und Mädels von 17 oder 18 durchaus sowohl von der Sache her genug wüssten, um auch obszönere Verse verstehen zu können, wie auch vom Wortschatz her. Denn diesen Ruf hat Catull seit nun über 2000 Jahren: Er kann ganz schön obszön werden. Damit steht er zwar in der antiken rhetorischen Tradition, aber wer weiß das heute noch? Immerhin schreibt er Dinge, die, wenn ich sie hier zitieren würde, mir wohl die Kündigung meines Internethosts eintragen würden.

In Catulls Gedichten geht es meist um – Catull. Um Familiäres (er betrauert in einigen Liedern einen vor ihm verstorbenen Bruder), um persönliche Streitigkeiten mit heute unbekannten Dritten, um Politisches (er greift mit seinen satirischen Gedichten sogar Gaius Iulius Caesar an), und vor allem um seine Liebe zu Lesbia. Diese Lesbia hat offenbar tatsächlich existiert. Sie war älter als Catull, und während dieser sich Hals über Kopf und ein für alle Mal in diese Frau verliebte, war er für sie anscheinend nur ein Abenteuer unter vielen. Odi et amo … Lesbia nennt sie Catull offenbar in Anlehnung an die Dichterin unglücklicher Liebe von der Insel Lesbos, Sappho. Er tut einem richtig leid, wenn man die Gedichte an Lesbia liest, dieser junge Mann aus Verona. Aber für die Weltliteratur war es ein Gewinn, dass ihn diese Frau verschmähte.

So haben wir nämlich einen bis heute ein in seinen persönlichen Gedichten sehr beeindruckenden und lesenswerten Autor vor uns.


Catull: Sämtliche Gedichte. Lateinisch und Deutsch. Aus dem Lateinischen von Carl Fischer. Mit einem Nachwort von Bernhard Kytzler. Frankfurt/M, Leipzig: Insel, 1995. (= insel taschenbuch 1736)

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