Heinrich Heine: Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem, nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst.

Er wolle durchaus nicht in Konkurrenz treten zu Goethe und ihn auch nicht kritisieren, wie es zum Beispiel August Klingemann getan habe, schreibt Heine selber in seiner Einleitenden Bemerkung. Tatsächlich war es offenbar so, dass er eine Anfrage aus London erhielt, ob er nicht den Stoff zu einem Ballett liefern könne. Was er denn auch tat. Sein Ballett wurde nicht aufgeführt, was er den Intrigen des Londoner Ballett-Meisters zuschrieb. Was Heine nicht sehen konnte noch wollte, war, dass seine Behandlung des Stoffs tatsächlich ziemlich medioker ist.

Schon in seiner Einleitung tut er ja, was nicht zu tun er versprochen hatte: Er kritisiert Goethe für seine Behandlung des Faust-Stoffs in Faust I. Goethe, so Heine, habe zwar ein Meisterwerk abgeliefert, aber sich nicht um die Überlieferung der Sage im so genannten Volksbuch gekümmert. (Ich meine, lieber Heine: Was kümmert uns die Überlieferung einer Sage, wenn aus deren Nicht-Beachtung ein Meisterwerk entsteht?) Dies nun wollte Heine korrigieren. Er tut dies, indem er gleich zu Beginn aus dem Mephistopheles eine Mephistophela werden lässt1), und den Faust des Volksbuchs (der bedeutend mehr darstellte als nur dies) zu einem geilen Lümmel umfunktioniert, der allen schönen Frauen nachstellt – natürlich mit immer dem gleichen Ziel. Und dies mit dem wissensdurstigen, aber von Hybris geschlagenen Faust des Volksbuchs! Kein Wunder, wollte diese platte Interpretation des Stoffs schon zu Heines Lebzeiten niemand sehen …

In den auf die Choreografie folgenden Erläuterungen versucht Heine, dem Direktor des Londoner Theaters, für den er sein Ballett schrieb, eine kurze Geschichte der Überlieferung des Faust-Stoffs zu vermitteln. Er kennt dabei einen zweiten Überlieferungsstrang, der mittlerweile von der Germanistik verworfen worden ist. Ansonsten rekonstruiert er den Weg, den der Faust-Stoff vom Volksbuch über England (Marlowe!) zurück nach Deutschland und dann ins Puppenspiel genommen hat, einigermaßen korrekt. Nur seine Meinung, dass Goethe wohl nur das Puppenspiel gekannt habe bei der Abfassung von Faust I, wird heute meines Wissens nicht mehr geteilt.

Doch die Erläuterungen bringen nicht nur literaturgeschichtliche Informationen. Auch über das Hexen- und Teufelswesen in Deutschland und deren Behandlung in der deutschen Literatur informiert er den Engländer ausführlich. Diese Informationen sind kultur- und literaturgeschichtlich nicht uninteressant, fasst doch Heine darin den Wissensstand seiner Zeit zusammen. Ob aber der englische Theaterdirektor so sehr daran interessiert war? Jedenfalls wurde das Ballett nie aufgeführt, und auch bei seinem deutschen Hausverleger hatte Heine Mühe, den Text unterzubringen – obwohl er ihn sogar vorsorglicherweise ins Französische übersetzen liess, um sich das französische Urheberrecht zu sichern …

Alles in allem: Eine literaturgeschichtliche Merkwürdigkeit, die zu kennen vielleicht wichtiger ist, als Klingemanns Faust zu kennen, weil Heine doch das eine oder andere Eigenständige mitliefert. Wer’s aber nicht kennt, hat nur wenig verpasst.


1) Ob er Jacques Cazottes Verliebten Teufel kannte, wo der Teufel ja auch zur Frau wird? Möglich wäre es bei Heine durchaus. Erwähnt wird Cazotte allerdings nirgends.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert