Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit

1785 erschien Jacobis Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Das Buch warf rasch sehr hohe Wellen in den Kreisen der deutschen Intellektuellen. Unternahm doch Jacobi nichts Geringeres als den Versuch, Lessing als Anhänger und Vertreter des Spinozismus festzulegen. Er beruft sich dabei auf Gespräche mit ihm, die er bei dessen Besuch in Pempelfort geführt haben will, und von denen er eine Art Gedächtnisprotokoll vorlegt. Lessing war 1781 verstorben und konnte sich nicht mehr dazu äußern. Das tat an seiner Stelle der alte Berliner Freund Moses Mendelssohn, der es einerseits als postumen Vertrauensbruch empfand, dass Jacobi den Inhalt privater Gespräche an die Öffentlichkeit zerrte, andererseits Lessings Spinozismus überhaupt leugnete.

Die Frage, ob nun Lessing Anhänger des Spinoza war oder nicht, stellt heute bestenfalls eine Fußnote in der Literatur- bzw. der Philosophiegeschichte dar. Jacobis Schrift wird dementsprechend heute selten noch gelesen, obwohl sie – zusammen mit Wider Mendelssohns Beschuldigungen betreffend die Briefe über die Lehre des Spinoza von 1786 bzw. deren Erweiterung in der dritten Auflage von 1815 (als auch Mendelssohn schon lange tot war) – einige durchaus interessante philosophiegeschichtliche Aspekte bietet. Der Spinozismus, bzw. der Pantheismus, ist für Jacobi eine rational vertretbare Denkweise. Insofern stimmt er Lessing in den zitierten Gesprächen auch zu. Jacobi diskutiert bei der Analyse des Spinoza auch das Verhältnis von Spinozas Deus sive Natura zu Leibniz‘ Monadologie bzw. der prästabilierten Harmonie der einzelnen Monaden. Die Monadenlehre lehnt er ganz klar ab, die prästabilierte Harmonie hingegen ist für ihn ein Problem. Das Verhältnis von Leib und Seele ist spätestens seit Descartes ein Thema der europäischen Philosophie. Wie geschieht, was wir wollen? A nihilo nihil fit, von Nichts kommt nichts: Dieses Credo des Rationalismus hat sich auch Jacobi zu eigen gemacht. So sucht auch er Begründungsketten für ‚alles‘. Dabei bleibt nicht nur die Freiheit des menschlichen Willens auf der Strecke. Er fühlt sich auch veranlasst, seine Begründungsketten immer weiter zurück zu führen. Und nun landet er bei einem Punkt, wo er die alten scholastischen Versuche eines Gottesbeweises imitiert. (Die Scholastik war ja durchaus der Meinung, rational zu sein.) Der Punkt seines Absprungs von Spinoza ist der, wo er implizit den Spinozimus als leer – und damit de facto dann doch wieder, wenn nicht atheistisch, so nihilistisch – auffasste.

Das ist der andere Aspekt von Jacobis Philosophie: Seine Ratio führt ihn zu einem Glauben an Gott. Er spricht gegenüber Lessing von einem Salto mortale – die Hervorhebung stammt von ihm selber. Von Nichts kommt nichts: Also muss hinter Allem ein großes ‚Alles‘ sein, das dann eben Gott genannt wird. Das ist, leicht verkürzt und zusammengefasst, sein Credo, sein Gottesbeweis auch. Spinozismus muss zwar nicht notwendigerweise zum Atheismus führen, wie es Jacobis (und Spinozas!) Zeitgenossen dem Amsterdamer Philosophen vorwarfen. Aber hinter ‚Deus sive Natura‘ steht letzten Endes ein grosses Nichts. Und aus Nichts kommt Nichts. (Ob diese „Rettung“ des Pantheismus vor dem Atheismus, indem man ihn versteckt als Nihilismus verdammt, für die Zeitgenossen einen so großen Unterschied machte, bleibe einmal dahingestellt.) Diese beiden mit einander verschweißten Seiten, sein aufklärerischer Rationalismus, der Spinozas System als logische und natürliche Konsequenz vernünftigen Denkens betrachtet, und sein Glaube an etwas jenseits des Rationalen Existierenden, etwas, das den Rationalismus sprengt, sind untrennbarer Grund Jacobi’schen Denkens. (Der Sprung in den Glauben war es dann auch, der Jacobi den Beifall brachte jenes Mannes, welcher selber ein christliches Erweckungserlebnis gehabt hatte und seither an Kant und der Aufklärung kritisierte, dass sie der irrationalen Seite des menschlichen Wesens zu wenig Raum gaben: Johann Georg Hamann. Auch Herder diskutierte fleißig mit.)

Jacobi Schrift – obwohl man sie heute wenig kennt, geschweige denn nennt – hatte großen Einfluss auf das Denken vor allem in Deutschland. Den Salto mortale in den Glauben sollte nicht erst Kierkegaard von ihm übernehmen (und damit – vorwiegend deutsche – Teile des Existenzialismus!): Schon Schleiermacher verlegte die Erkenntnis Gottes von der Ratio ins Gefühl, hierin Jacobi folgend. Dem Theologen Schleiermacher seinerseits nun sollte sehr rasch die ganze protestantische Kirche folgen, die aus dem Glauben eine Gefühlssache machte – was bis heute so geblieben ist.

Zurück zum Text, für einen weiteren Ausflug in die Gegenwart: Lessing soll Jacobis Salto mortale ein Kopf unter genannt haben – eine Turnübung, der zu folgen er zu alt sei. (Was ja für die Zeitgenossen diesen Text so brisant machte: Lessing als Hard-Core-Pantheist, also als Atheist!) Wie weit Marx, der den Idealismus Hegels vom Kopf wieder auf die Füße stellen wollte, Jacobis Buch kannte, entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist jedenfalls dieselbe Metapher und schildert eine ähnliche philosophische Konstellation, und so würde auch von dieser Seite her ein Einfluss eines rund 235 Jahre alten Buchs auf die Gegenwart des 21. Jahrhunderts festzustellen sein. (Spekulation … ich weiß.)


Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit. Herausgegeben von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske. (= ders.: Werke. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Band 1,1 und 1,2.) Hamburg: Meiner / Stuttgart-Bad Cannstadt: frommann-holzboog, 1998

1 Reply to “Friedrich Heinrich Jacobi: Schriften zum Spinozastreit”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert