Becky Chambers: The Long Way to a Small, Angry Planet [Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten]

Mit diesem Roman erfüllte sich für Rebecca Marie (genannt „Becky“) Chambers der US-amerikanische Tellerwäscherinnen-Karrieretraum, ins literarisch-verlegerische gewendet. Aus einer Familie stammend, in der mehrere Mitglieder bei der NASA arbeiteten, begann sie irgendwann nach 2010 mit diesem ihrem ‘großen’ Roman. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie mit verschiedenen Teilzeitjobs, und sie übernahm kurzfristige Aufträge. Dann, kurz vor Vollendung des Romans, gab es den Moment, wo diese Jobs alle gleichzeitig endeten und neue erst in rund zwei Monaten wieder anstanden. Chambers sah sich vor die Alternative gestellt, entweder ihre gesamte Energie vom Roman abzuziehen, um Arbeit zu finden, oder über dessen Fertigstellung zu verhungern. Sie wählte die dritte Möglichkeit und startete auf einer Crowdfunding-Plattform eine entsprechende Petition – mit Erfolg. Da sie aber trotzdem für The Long Way to a Small, Angry Planet keinen Verlag fand, beschloss sie, den Rest des Gelds in ein Self-Publishing zu stecken. In kürzester Zeit erhielt der Roman eine ansehnliche Anzahl Fans und wurde noch im selben Jahr (2014) für den englischen Kitschies Award nominiert – als erstes im Eigenverlag erschienenes Buch überhaupt. Es kam, wie es kommen musste: Plötzlich interessierten sich auch internationale Großverlage für den Roman, und 2015 wurde er von Hodder & Stoughton lanciert. (In dessen Ausgabe habe ich ihn denn auch gelesen.) Seitdem läuft Chambers Karriere ungebremst weiter. Mit einem sicheren Teilzeitjob im Hintergrund hat sie unterdessen drei weitere Romane geschrieben, die allesamt im Universum ihres Erstlings The Long Way to a Small, Angry Planet spielen, wenn auch das Personal größtenteils ausgewechselt ist. Man spricht unterdessen von der Wayfarer-Reihe, nach dem Namen des Raumschiffs, in dem The Long Way to a Small, Angry Planet zur Hauptsache spielt.

So viel zur Vorgeschichte; und wenn ich so viel Raum für eine Vorgeschichte verwende, bedeutet das meist, dass ich zum eigentlichen Roman wenig zu sagen habe. Das ist hier aber nicht ganz so. Sicher: Eine Handlung, die sich irgendwie zusammenfassen ließe, gibt es zwar eigentlich nicht. Chambers (Jahrgang 1985) ist ein Kind von Science-Fiction-Serien im Fernsehen wie Star Trek, und wie bei Star Trek haben wir eine lose den ganzen Roman umfassende ‘Geschichte’ und einzelne Episoden, in denen die eigentlichen Ereignisse stattfinden. Chambers ist bekannt dafür, dass sie ihr fremdes Universum in allen Details entwickelt hat. Der ganze Roman spielt in einer Welt, die The Galactic Commons genannt wird und verblüffende Ähnlichkeit hat mit der Föderation bei Star Trek: Ein Zusammenschluss verschiedenster Rassen über verschiedenste Galaxien hinweg, innerhalb dessen es keinen Krieg gibt. Aber Chambers liefert uns etwas, das ich, je länger ich die Serie kenne, als um so größeres Manko von Star Trek empfunden habe. Wir haben zwar Raumschiffe mit gemischt-rassischer Besatzung. Aber alle Raumschiffe, die wir zu sehen kriegen, sind welche der so genannten Sternenflotte – der Armee der Föderation. Es scheint kein ‘normales’, ziviles Leben zu geben. Jedenfalls fehlt dieses in den frühen Reihen der Franchise praktisch vollständig. Die Raumschiffe selber sind schwerbewaffnete durchs All fliegende Festungen; kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen solchen Festungen sind an der Tagesordnung. Und selbst innerhalb eines solchen Raumschiffs erleben wir im Grunde genommen nur die so genannte Brücke, das heisst die Kommandozentrale und damit gerade mal eine oder zwei Handvoll führende Offiziere.

Auch Chambers liefert uns ein Raumschiff, das, wie die Enterprise, Gott hab sie selig, mit einem bestimmten Auftrag durchs All reist, aber die Wayfarer ist ein ziviles Schiff. Und es befinden sich auch nicht Aberhunderte von Personen an Bord, sondern nur deren 9 (oder 10, je nach Zählweise). Die Wayfarer ist ein Schiff, das Tunnels durch den Hyperraum (oder Subraum – so genau erinnere ich mich nicht; es spielt auch keine Rolle) zu bohren im Stande ist. Diese Tunnel dienen dann dem Warenverkehr. Vom Bau solcher Tunnels also lebt der Kapitän und Besitzer, davon lebt die Crew. Wie bei Star Trek besteht auch diese Crew aus einer Mischung von Menschen und Aliens. Das Schiff aber ist unbewaffnet; der Kapitän stammt aus einer pazifistischen Kolonie. Zwar erlebt auch die Wayfarer Überfälle verschiedenster Art; aber ihnen wird nicht mit Gewalt begegnet, sondern mit Köpfchen und mit Verhandlungen. Der Roman lebt aber nicht nur davon, dass wir sehen, wie sich die Wayfarer und ihre Crew aus der jeweiligen Bredouille ziehen. Viel wichtiger ist bei Chambers die Schilderung der verschiedenen Welten, denn in diesem Roman hier sind wir auch und oft auf Planeten, erleben Handelshäfen und fremde Sitten. Im Zentrum der Geschichte steht Rosemary Harper, eine junge Frau, die vom Mars aufbricht, um bei der Wayfarer als Buchhalterin anzufangen. Im Laufe des Romans wird klar, warum sie vom Mars im eigentlichen Sinn des Wortes geflohen ist. Denn das ist der zweite Schwerpunkt in Chambers’ Erzählung: die Charaktere aller 9 Besatzungsmitglieder und ihre Entwicklung auf der Reise zu dem kleinen zornigen Planeten, der dem Roman den Titel gegeben hat, aber nur auf den letzten paar Seiten vorkommt. Und Rosemary, die Newbie, gibt ihr natürlich zusätzlich die Gelegenheit, dem Publikum ein paar Dinge zu erklären, die fürs gestandene Personal der Wayfarer allzu offensichtlich gewesen wären. Chambers erledigt sich dieser Aufgabe im Großen und Ganzen recht gut; nur einmal übertreibt sie es, wenn sie Kizzy, die eine Technikern, eine Menschin, an Hand des Frühstücksporridge und der Serviette erklären lässt, wie so ein Tunnelbau im Hyperraum (oder eben doch im Subraum?) funktioniert. Da merkt man die Absicht und man ist verstimmt.

Bei allen Kabbeleien hält die Besatzung im Notfall doch zusammen. Denn Chambers’ Botschaft ist eine ähnliche wie die von Gene Rodenberrys Star Trek: Freundschaft und Familie (denn die Crew fühlt sich letzten Endes als Familie, auch wenn sie es nicht zugibt) überwinden alle Hindernisse. Es gibt bei Chambers auch Spezies-übergreifende Liebe, selbst Spezies-übergreifenden Sex. Es gibt – wie schon bei den Lensmen von „Doc“ Smith echsenähnliche intelligente Lebewesen. Der Arzt der Wayfarer (der zugleich ihr Koch ist) ist ein raupenförmiges Alien mit 6 Gliedmassen, die sowohl als Arme wie als Beine dienen können. (Die Disney-Verfilmung von Alice in Wonderland lässt grüßen!) Das männliche Pronomen für ihn gilt erst jetzt, im Alter. Jüngere Mitglieder seiner Rasse sind weiblich. Doch es gibt kaum noch jüngere Grum – die Rasse hat sich in Bürgerkriegen de facto ausgelöscht. Die pazifistische Botschaft, die Chambers damit herüber bringen will, ist – wie für US-amerikanische Literatur leider typisch – wohl klar. Die Technik an Bord des Schiffs wird von einer künstlichen Intelligenz geregelt, die Lovelace heisst. Im Laufe ihrer Jahre an Bord hat sie ihre Persönlichkeit so sehr weiterentwickelt, dass sie auch im Stande ist, Gefühle zu entwickeln – Liebe. Die Spezies-übergreifende Toleranz wird von Chambers selbst für künstliche Intelligenz geltend gemacht – wo doch hier sogar die Regeln der GC (Galactic Commons) eine Ausnahme machen. Der Versuch des seinerseits in Lovelace verliebten anderen menschlichen Technikers an Bord, Jenks, ihr einen menschlichen Körper zu besorgen, ist illegal. (Was, wie bereits heute überall auf der Welt, nur heißt: teuer.) Anders als mit der Föderation zumindest der frühen Star Trek-Serien haben wir mit den Galactic Commons also kein Idealgebilde vor uns. (Aber ein ernst zu nehmender Beitrag zum Thema „Künstliche Intelligenz“ ist das natürlich nicht. Soll es auch nicht sein, nehme ich an. Wir sind in einer Fiktion.)

Fazit: Der Roman weist kleine kompositorische Schwächen auf, indem sich Chambers in ihrer Detailverliebtheit ein paar Mal zu oft dazu hinreißen lässt, der Newbie Rosemary (und damit dem Publikum) Dinge detailliert zu erklären. Aber ihr Universum ist faszinierend und lebendig. Auch den Umstand, wie gut sie Pazifismus und Toleranz gegenüber anderen Lebensformen findet, reibt sie für mein Gefühl ihrem Publikum ein bisschen oft unter die Nase. (Wenn ich andererseits sehe und lese, welche Intoleranz in den heutigen Social Media Andersgläubigen, -denkenden, -aussehenden, sexuell anders orientierten etc. entgegen schlägt, vielleicht doch nicht.) Summa summarum gut geschriebene Science Fiction der intelligenteren Sorte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert