Lukian: Die Toten / Die Lahmen / Die Narren

Ausschnitt aus einer alten Handschrift eines Textes von Lukian, der als Coverbild verwendet wurde.

Rund ein halbes Jahr nach dem ursprünglich auf der Homepage versprochenen Termin ist Band IV der neuen zweisprachigen Lukian-Ausgabe in der Sammlung Tusculum schließlich doch erschienen. Sehr erfreulich für mich, enthält doch dieser Band auch weniger bekannte Texte Lukians – sogar welche, die mir vorher unbekannt waren (was natürlich nichts heißen will).

Den Anfang allerdings machen, unter dem Titel Die Toten die vielleicht berühmtesten Texte Lukians – die legendären Totengespräche (wie man sie anderen Orts bezeichnet finden wird). Lukian bedient sich für das ‚Setting‘ der Gespräche bei der antiken Vorstellung, dass die Menschen nach ihrem Ableben von Hermes abgeholt und zu Charon gebracht werden, der sie gegen Bezahlung eines Obolus über den Totenfluss, den Acheron, in die Unterwelt bringt. Dort werden sie vor den Totenrichter gestellt, und – je nach Verdienst – entweder in die elysischen Gefilde entlassen, eine Gegend, in der sie als eine Art Schatten ohne viel eigenen Antrieb, aber auch ohne Schmerzen, weiter „leben“, oder falls man ein sehr gutes Leben geführt hatte, ins Elysium selber, wo sie in ewiger Glückseligkeit „leben“. Lukian lässt seine Totengespräche fast an allen oben genannten Orten spielen: beim Einsteigen in Charons Boot, auf der Überfahrt oder in den elysischen Gefilden. Einzig das Elysium selber fehlt; zu wenig Menschen sind wohl seiner Meinung nach dafür berechtigt, auch kann er seine moralischen Vorstellungen am negativen Beispiel wohl besser demonstrieren als an einem positiven.

Die Gespräche verlaufen meist nach einem ähnlichen Schema. Da ist einer der Gesprächspartner (andern Orts hat Lukian durchaus auch Gespräche unter Frauen verfasst, aber die Toten hier sind alles Männer), der das Leben geliebt hat, vor allem sein Geld und die vom Geld verliehene Macht über andere. Herausgefordert oder ausgelacht werden sie meist von einem Philosophen der kynischen Schule. Menipp ist der am meiste vorkommende Name des Philosophen. Er heißt aber auch schon mal Diogenes von Sinope und einmal nennt er sich selber ganz einfach das Kynikerlein. Dieser Philosoph macht sich, als echter Kyniker, über den Hang zum Materiellen bei seinen Gesprächspartnern lustig, weil sie nun hier, im Hades, doch alle gleich sind, alle gleich aussehen. Sokrates, den man doch auch als philosophischen Kritiker erwarten könnte, wird nur zwei Mal genannt, beide Male nur am Rande und wenig positiv. Einmal bezeichnet der kynische Philosoph ihn als eitlen Dummschwätzer, der noch in Angesicht des Todes nur prahlen konnte. Das zweite Mal ist der Bezug auf Sokrates neutraler gehalten; er wird ganz kurz genannt bei der Frage, wer das denn nun sei, der dort ständig herum laufe und die Leute anquatsche. (Nebenbei: In Bezug auf das Aussehen der Toten ist Lukian ein wenig wankelmütig. Mal sind sie nur Skelette bzw. Schädel, tatsächlich ununterscheidbar von einander und teilweise sogar ohne jedes Gefühl oder Bewusstsein, dann wieder kann der Kyniker die Menschen nach wie vor von einander unterscheiden und führt heftigste Diskussionen mit ihnen, die sich immer noch an ihr altes Leben erinnern.)

Zwei Gespräche möchte ich näher vorstellen, denn sie stechen aus den übrigen dann doch ein wenig heraus.

Da ist eines, in dem sich Alexander der Große und Hannibal darum streiten, welcher von ihnen beiden nun der größte Feldherr gewesen sei. Der Fall eskaliert und kommt gar vor den Totenrichter. Schon der Umstand, dass hier zwei Tote noch so viel Verlangen nach weltlicher Ehre haben und nicht deswegen von vorneherein lächerlich gemacht werden, stellt in Lukians Totengesprächen eine Ausnahme dar. Wir haben hier nämlich keinen Kyniker, der eingreift. Der Fall wird dadurch gelöst, dass zu den beiden Streithammeln ein dritter Feldherr hinzutritt: Scipio Africanus. Er, meint Scipio, habe ja den Hannibal besiegt, halte aber dennoch Alexander für den größeren Feldherrn als sich selber. Somit sei die Reihenfolge klar: Alexander an erster Stelle, er selber an zweiter und Hannibal erst an dritter. Nicht nur Thema und Ausführung dieses Gesprächs sind speziell sondern auch die handelnden Personen. Einige der wenigen Male bei Lukian tritt ein Barbar auf (Hannibal) und gar das einzige Mal in dessen Werk überhaupt ein Römer – Lukian hält sich sonst an die alten Griechen.

Das zweite Gespräch ist wohl eher deshalb den Toten hinzu gefügt worden, weil mit Hermes und Charon die beiden Gesprächspartner beruflich mit den Toten zu tun haben. In diesem Gespräch stehen keine Menschen im Zentrum sondern die beiden Götter. Charon nämlich will endlich einmal die Welt sehen, von der viele seiner Kunden so schwärmen und von der sie sich kaum zu trennen vermögen. Er bittet Hermes, ihn doch einmal dort oben ein wenig herumzuführen. Das endet in einer Darstellung der Eitelkeit und Nichtigkeit alles dessen, was die Menschen so treiben, ist aber gut komponiert, vor allem mit dem Gegensatz des zu Beginn etwas naiven Charon und des erfahrenen und deshalb zynischen Hermes.

Bei den auf Die Toten folgenden Lahmen handelt es sich um zwei kurze Dramen. Medizinische Satiren, sozusagen, denn beide Male geht es darum, dass Männer von der Gicht befallen werden und nun heftigst leiden. Eines der beiden Dramen stammt, wie wir heute wissen, nicht von Lukian, wird aber seit Jahrhunderten in dessen Werk mitgeführt, weshalb sich der Herausgeber der Werkausgabe dazu entschloss, sie hier stehen zu lassen. Beide Dramen sind nett und weisen komische Stellen auf – an einen Plautus oder Aristophanes kommt Lukian aber so wenig heran wie sein Nachahmer. Immerhin habe ich den alten Spötter von einer Seite her kennen gelernt, die mir neu war.

Last but not least: Die Narren. Das sind satirische Epigramme zu verschiedensten Themen. Auch diese hier stammen nicht alle von Lukian, viele sind ihm nur zugeschrieben worden. (Wieland, so Möllendorff, habe denn auch nicht alle übersetzt.) Auch hier haben wir ein paar witzige Sächelchen dabei, aber hier gilt ebenso wie bei den Dramen, dass die Textsorte Epigramm so wenig Lukians Stärke ist wie des des Dramas.

Dennoch, und sei es nur wegen der Totengespräche: Lukians zynische Satiren lohnen sich.


Lukian: Band IV. Die Toten / Die Lahmen / Die Narren. Griechisch-deutsch. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Peter von Möllendorff. Unter Mitwirkung von Jens Gerlach. Berlin / Boston: de Gruyter, 2025. (erschienen in der Sammlung Tusculum)

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 5

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