Diese nicht „artgerechte Menschenhaltung“ prangert Wuketits in diesem Buch an, weist auf die daraus resultierenden psychischen Probleme hin (Burnout, Stress, diverse psychische Erkrankungen), auf die Unsinnigkeit eines Wirtschaftslebens, das einzig auf Quantität ausgerichtet ist, er verweist auf die allüberall statthabende Beschleunigung, die diesem Zweck der ständigen Vermehrung, des Größerwerdens (wovon auch immer) dient und die uns vergessen lässt, dass das Positive eines Lebens in der Qualität desselben liegt, einer Qualität, die nicht entgegen unserer durch die Evolution bestimmten Natur erreicht werden kann.
Insbesondere die von Staaten, Organisationen bzw. der Gesellschaft vorgegebenen Regeln, Vorschriften und Gesetze haben es dem Autor angetan: Er zitiert schwer Verständliches aus juristischen Texten, prangert die Einschränkung der Freiheit des Individuums durch diese überbordende Verordnungswut an und wird dabei nicht müde, die dafür maßgeblichen Institutionen (etwa die EU) bzw. Politiker im allgemeinen zu schmähen – und ein wirtschaftliches System zu verurteilen, das – von Großkonzernen dominiert (wobei sich Politiker oft als deren Erfüllungsgehilfen erweisen) – uns mit einer Fülle an unnützen Waren und Angeboten überschwemmt, die – entgegen der Aussagen der Unternehmer – keineswegs dem Kunden nützen, sondern einzige der Vermehrung von Macht und Reichtum einiger weniger.
So weit, so richtig – und so trivial. Unzweifelhaft kann man hier vielem zustimmen, den Konsumwahn verurteilen wie auch eine überbordende Bürokratie kritisieren. Aber diese Kritik ist weitgehend undifferenziert, flach und eigentlich nur billige Polemik: Ein Buch, in dem Sätze wie „die Politiker ziehen uns das Geld aus der Tasche“ (und zahlreiche ähnlich dümmlich-populistische Aussagen) stehen, hätte ich unter anderen Voraussetzungen sofort abgebrochen: Aber ich habe Wuketits eigentlich immer geschätzt, seinen Einsatz für die Evolutionäre Erkenntnistheorie, seine Bücher über Biologie und Darwinismus mit Gewinn und Vergnügen gelesen. Genau deshalb hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass er einen Text verbricht, der aus fortgesetzten Banalitäten, platten, jedem Links- oder Rechtspopulisten zur zweifelhaften Ehre reichenden Polemiken besteht und derartig unreflektiert Stammtischparolen nachplappert. Im Grunde bewegt sich das ganze Buch auf dem Niveau derer, denen zur Kritik an der EU nur zweierlei einfällt: Der Krümmungswinkel der Gurke (keine Erfindung der Brüsseler Bürokratie, sondern von Lebensmittelhändlern gefordert) und das Verbot der Glühlampe.
Alles in diesem Buch ist undifferenzierte, verkürzte Darstellung (selbst die durchaus kurios anmutenden Gesetzestexte, die er zitiert, sind keineswegs so dumm wie er glaubt unterstellen zu können: Sie resultieren sehr häufig aus dem Bemühen um größtmögliche Gerechtigkeit, weshalb man alle Unwägbarkeiten, unterschiedlichen Voraussetzungen etc. einfließen lässt, was zugegebenermaßen zu abenteuerlichen Satz- und Wortkonstrukten führen kann); es ist ein substanzloses System-Bashing (was immer man unter System versteht) oder sind billige Klischees. Und er widerspricht sich auch permanent: Während er die Beschneidung der Freiheit des Einzelnen kritisiert, wünscht er sich gleichzeitig Regelungen, um den Einfluss von Großkonzernen nebst ihrer wirtschaftlichen Macht beschränken. Und er unterstellt häufig Absichten, die so meist gar nicht existiert haben: Seine Kritik am Bologna-Modell und dem ECTS-Punktemodell kann ich in Teilen nachvollziehen. Dass aber die Absicht nicht die Gängelung von Studenten und Dozenten war, sondern es um die Anrechenbarkeit von Studien(abschnitten) in der EU ging, um die Möglichkeit, leichter von einer Universität zur anderen zu wechseln, wird dabei verschwiegen. Dieses System mag Fehler aufweisen (oder aber dringender Reformen zu bedürfen): Aber der Hintergrund war nicht die Durchsetzung von Normen um ihrer selbst willen durch eine bösartige Bürokratie.
Wäre das Buch von einem anderen Autor: Meine Enttäuschung hielte sich in Grenzen (ich hätte es wohl abgebrochen und den Unsinn ad acta gelegt). Dass aber jemand wie Wuketits auf solch billige Argumentationsmuster zurückgreift und den Leser mit Plattheiten en masse belästigt, macht diesen Text zu einer wirklich großen Enttäuschung.
Franz M. Wuketits: Zivilisation in der Sackgasse. Plädoyer für eine artgerechte Menschenhaltung. Murnau a. Staffelsee: Mankau Verlag 2012.