Am 7. Oktober 1927 traten Erika und Klaus Mann in Rotterdam eine Reise an, die sie – nach ihren ursprünglichen Plänen – in die USA hätte führen sollen und dann wieder zurück nach Deutschland. Es war, wie Klaus Mann 1942 in seiner Autobiografie Der Wendepunkt selber zugeben sollte, mehr oder weniger eine Flucht. Klaus Manns im Frühling desselben Jahres uraufgeführtes Stück Revue zu Vieren mit Pamela Wedekind, Gustav Gründgens und den beiden ältesten Mann-Kindern in den Hauptrollen, war bei der Kritik krachend durchgefallen. Zur beruflichen Krise kamen die privaten: Gründgens, offiziell mit Erika verheiratet (eine Heirat, die im Grunde genommen nur dazu diente, die je eigene Homosexualität der beiden gegen außen zu verbergen), verließ die Truppe kurz nach der Premiere, was sein Verhältnis zu den beiden Manns nachhaltig beschädigte. Pamela Wedekind wiederum, mit der Klaus eigentlich seit 1924 verlobt war (man fragt sich, warum, denn bereits 1925 hatte er seine eigenen Homosexualität in seinem Roman Der fromme Tanz de facto zugegeben), entfremdete sich ebenfalls nach und nach; sie begann zu jener Zeit bereits, dem (erfolgreicheren und älteren) Dramatiker Carl Sternheim Avancen zu machen.
Für die beiden Manns galt deshalb: Nichts wie weg! Der Plan war ursprünglich, dass die beiden in den USA eine Art Lese- und Vortragstournee abhalten würden. Klaus hatte einen Vortrag über Die Jugend Deutschlands in petto, Erika würde rezitieren. Trotz des Umstands, dass Klaus’ US-amerikanischer Verlag davon abriet (die season sei overcrowded, wie es im vorliegenden Buch formuliert ist), kauften sie die beiden zwei Schiffstickets und schifften sich in Rotterdam nach New York ein.
Unterwegs kam ihnen noch der Gedanke, sich in den USA als Zwillinge auszugeben und dort als die Mann twins aufzutreten. Abgesehen vom Marketing-Gag, ist es nach den vorher gegangenen Ereignissen wohl verständlich, dass die beiden – nunmehr auf sich selber zurückgeworfen – sich ihrer engen Bindung auch gegen außen versicherten. In meiner Ausgabe1) ist das offiziellen Werbefoto abgedruckt der beiden jungen Menschen, die sich tatsächlich sehr ähnlich sahen und diese Ähnlichkeit noch durch das beiderseitige Tragen von so genannten Ballonmützen unterstrichen. (Waren Erika und Klaus einfach zu wenig wichtig, zu wenig bekannt – wie ich vermute –, dass das nicht nachgeprüft wurde, oder war in den USA schon vor hundert Jahren wichtiger, dass eine Nachricht interessant klang, unabhängig vom Wahrheitsgehalt? Jedenfalls wurde das Zwillingswesen der beiden nie angezweifelt.)
Tatsächlich verbrachten die Mann twins etwa zwei Drittel ihrer neun Monate dauernden Weltreise in den USA. Zunächst einige Zeit in New York, bis sie den Kontinent durchquerten und in Hollywood mit den dortigen Größen deutscher Herkunft anbandelten. (Denn schon lange war Ziel und Zweck der Reise nicht mehr, Vorträge zu halten. Die beiden suchten Jobs in Hollywood, er als Drehbuchschreiber, sie – die sich zu jener Zeit noch als Schauspielerin betrachtete – als ebensolche.) Daraus wurde nichts, und man reiste für einige Zeit zurück nach New York. Statt nun aber von dort nach Hause zu reisen, durchquerten sie den Kontinent abermals und schifften sich dann von San Francisco aus nach Japan ein.
Tokio fanden die beiden hässlich, mussten aber zugeben, dass ein erst kürzlich erfolgtes Erdbeben mit seinen Verwüstungen große Schuld daran trug. Ansonsten fanden sie Japan recht putzig – eine Einschätzung, die Klaus Mann in seiner oben erwähnten Autobiografie nicht mehr teilen würde. Aber die erschien mitten im Zweiten Weltkrieg und Klaus Mann war weder 1927 noch 1942 der, der objektiv zu urteilen vermochte.
Das zeigt sich in diesem Reisebericht. Er basiert vorwiegend auf Zeitungsartikeln, die Klaus Mann unterwegs schrieb, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. (Auch Richard Katz hat ja, schon ein paar Jahre früher, sein erstes Buch über seine erste Weltreise aus eben solchen Zeitungsartikeln erstellt – das war damals gang und gäbe.) Um aus dem Nachwort des Herausgebers zu zitieren:
Der Tonfall des Schreibens entsprach recht genau der Stimmung, mit der die Geschwister die Weltreise absolvierten: Naßforsch und abenteuerlustig; stets neugierig auf Menschen, besonders auf Prominente; zugleich selbstkritisch genug, den etwas leichtfertigen Charakter ihres Weltenbummler-Daseins zu bemerken und zuzugeben.
Das ist sehr positiv formuliert von Uwe Naumann. Man könnte auch sagen, dass das Buch sehr egozentrisch gehalten ist; Land und Leute jenseits von A-, B-, C- und D-Prominenz kaum vorkommen und wenn, dann immer leicht von oben herab betrachtet. Sachinformationen sind oft falsch, weil nachläßig oder gar nicht recherchiert. So wird als Hauptreligion Japans zunächst einzig der Buddhismus angegeben, erst in einem späteren Artikel erscheint dann auch die Shintō-Religion. Den alltäglichen Rassismus in den USA bemerken und kritisieren sie sogar, aber das Ganze wirkt auf Grund des Tonfalls oberflächlich.
Auch der Begriff leichtfertig bei Naumann ist im Grunde genommen ein Euphemismus. Das bisschen Geld, das ihre Vorträge, die Rezitationen und Klaus’ Berichte für deutsche Zeitungen einbrachte, reichte hinten und vorne nicht. Reserven hatten sie sowieso keine. Zwei Mal wurden sie in New York (im selben Hotel!) festgehalten, weil sie ihr Zimmer nicht zahlen konnten; zwei Mal konnten sie sich aus dieser Falle gerade noch so retten. Immerhin waren sie noch klug genug, das ursprünglich auf der Liste stehende China nicht zu besuchen, weil dort gerade ein Bürgerkrieg wütete. Statt dessen besuchten sie Korea – allerdings erfahren wir über kein anderes Land weniger in diesem Reisebericht. Von Korea aus fuhren sie mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück nach Europa, will sagen: Moskau. (Nebenbei: Die US-amerikanischen Eisenbahnen schätzten die beiden gar nicht; zu sehr schaukelten ihnen die Pullmanwagen.) Auch über die UdSSR erfahren wir wenig; wichtig waren den beiden Gorkis Frau, die sie trafen, und das große Kaufhaus in Moskau, in dem sie flanierten. Des langen und breiten erzählt wird aber die Geschichte, wie den beiden auf der langen Eisenbahnfahrt durch Sibirien wieder einmal das Geld ausging – nichts mehr mit Wodka zum Abendessen, ja nicht einmal mehr Frühstück. Da selbst das Wasser an Bord kostenpflichtig war, sahen sich die beiden bereits unterwegs verdursten. In ihrer Not beschlossen sie, einen ihnen unbekannten Mitreisenden anzusprechen, der offenbar Deutscher war. Es stellte sich heraus, dass es sich um Bernhard Kellermann handelte, der ihnen denn auch aus der Patsche half.
Als ihr Vater Thomas Mann 1929 den Nobelpreis für Literatur erhielt, steckte er auch seinen beiden Ältesten etwas Geld zu, bzw. sorgte dafür, dass deren Schulden in den USA beglichen wurden.
Summa summarum: Man muss den nassforschen Tonfall mögen, den die beiden anschlagen und man muss es mögen, dass sie fast wie blinde Hühner durch die Welt stolpern. Ich kann damit wenig anfangen, verzeihe Erika und Klaus aber angesichts der Tatsache, dass sie wenige Jahre später ihre Augen geöffnet hatten, früher als ihr Vater sogar, und sie zu ernsthaften Gegnern des Nationalsozialismus wurden.
1) Erika und Klaus Mann: Rundherum. Abenteuer einer Weltreise. Mit Originalfotos. Nachwort von Uwe Naumann. Reinbek: Rowohlt, Einmalige Sonderausgabe 1999 als rororo 1200.