Christian von Aster: Der letzte Schattenschnitzer

Der Deutsche Christian von Aster, Jahrgang 1973, hat vor kurzem in der Hobbit-Press bei Klett-Cotta den Roman Der letzte Schattenschnitzer veröffentlicht. Eine renommierte Reihe in einem renommierten Verlag. Ziemlich gediegenes Buch, da Hardcover und kein Paperback. Last but not least kennt der Autor solche alte Grössen der Phantastik wie Jacques Cazotte, den französischen Martinisten und Schriftsteller des 18. Jahrhunderts. Gründe genug also, um nachzulesen, ob die zeitgenössische Phantastik den Voraussetzungen ihrer Gründerväter Genüge tun kann.

Denn, um es vorauszuschicken: Ich mag phantastische Literatur. (Nicht „Fantasy„!) In der Phantastik werden Themen angesprochen, die die klassisch-realistische Literatur allenfalls 100 oder 200 Jahre später sich vorzunehmen traut. Die Phantastik ist die Mutter des Kriminalromans wie der Science Fiction und durch letztere die Grossmutter der Zukunftsforschung. Der Kampf zwischen Gut und Böse, die geheimnisvollen und geleugneten Mächte jenseits dessen, was sich unsere Schulweisheit träumen lässt: die Phantastik hat dies als erste exploriert. Und so ist es kein Wunder, dass einige der ganz grossen Autoren der Phantastik zuzuordnen sind: E. T. A. Hoffmann, E. A. Poe, Borges. Selbst Paul Auster verdankt ihr fast alles. Kafka hat die Phantastik auf ungeahnte Höhen geführt. Und wenn Karl May seine besten Momente hat, wird er zum Phantastiker.

Und nun Christian von Asters Der letzte Schattenschnitzer. Das ganze Arsenal der klassischen Phantastik ist vorhanden: Geheime Organisationen, die um die Weltherrschaft streiten. Der unbedarfte Protagonist, der nicht weiss, wie ihm geschieht. Ein Verräter. Eine Liebesgeschichte. (Eine unglückliche noch dazu.)

In von Asters Roman sind es die Schatten, die geheimnisvolle Kräfte besitzen. Ein kleiner Junge – nach aussen ein Autist – lernt von seinem eigenen Schatten, andere Schatten nach Willen zu verformen oder auszutauschen. Schon bald zeigt sich, dass er damit die Aufmerksamkeit eines geheimen Rates mit ungeheuerlichen Kräften auf sich zieht, der über solche ungewöhnlichen Vorkommnisse wacht und sie nicht zulassen will. Doch auch die Gegner dieses Rates mit mindestens ebenso grossen Kräften mischen sich ein. Der klassische Kampf zwischen Gut und Böse also. Nur dass von Aster – Autor des 21. Jahrhunderts – nicht mehr entscheiden kann, wer nun Gut oder Böse ist. Und der Kampf um die Weltherrschaft erübrigt sich, als sich der Junge selber opfert und damit einen Paradigmenwechsel herbeiführt.

Fazit: Es mag sein, dass von Asters Roman einmal nicht in der Ahnenreihe der ganz grossen Phantastik aufgeführt werden wird. Aber er exploriert aufs Schönste, was Phantastik heute leisten kann, ohne zu fastidiöser Ideologie zu verkommen. Und hält damit, hoffe ich, eine Tradition am Leben, für die phantastische Literatur nicht mit „Fantasy“ gleichzusetzen ist, und die mehr kann und will, als irgendwelche Wesen mit irgendwelchen unnatürlichen Begabungen in irgendwelchen unnatürlichen Welten auf irgendwelche sinnlose Questen zu schicken.

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