= Dialog von Galileo Galilei über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische. Gelesen habe ich das Werk allerdings in der englischen Übersetzung (Dialogue Concerning the Two Chief World Systems: Ptolemaic and Copernican) von Stillman Drake, mit einem Vorwort von Albert Einstein. Wohl im Hinblick auf die 450. Wiederkehr von Galileos Geburtstag am 15. Februar dieses Jahres erschien 2013 Drakes Übersetzung erneut bei der Folio Society. Ursprünglich war sie 1953 bei der University of California Press erschienen, 1967 nochmals revidiert. Die Ausgabe der Folio Society ist wie immer gut gestaltet und grosszügig illustriert – u.a. mit Reproduktionen von Original-Dokumenten und -Zeichnungen Galileos.
Einsteins Vorwort legt zwar den Finger sehr präzise in die wissenschaftliche Wunde – sprich: den Fehler – in Galieos System (davon weiter unten), kolportiert aber auch die weit verbreitete Meinung, die Erde sei im Mittelalter als Scheibe aufgefasst worden. Jeder, der Dantes Divina Commedia kennt, weiss, dass auch im Mittelalter die Kugelgestalt der Erde bekannt war. Zur Zeit Galileos steht dies so oder so ausser Frage – die Frage war: Steht die Erde im Zentrum des Universums, wie es Ptolemäus im Anschluss an Aristoteles wollte, oder steht die Sonne im Mittelpunkt desselben, wie es die neue Astronomie, deren führende Vertreter Kopernikus, Kepler und natürlich Galileo waren, sich vorstellte? (Tycho Brahe wird von Galileo praktisch tot geschwiegen, ein- oder zweimal werden dessen astronomische Beobachtungen angeführt, das ist alles. Brahes Weltsystem, im Grunde genommen ein Mischsystem, wo die Sonne zwar den Mittelpunkt der übrigen Planeten darstellt, aber die Erde der Mittelpunkt des Ganzen bleibt, wurde vom Italiener offenbar als unliebsame Konkurrenz empfunden.)
Wissenschaftsgeschichtlich stellt Galileos Weltbild einen Übergang zum heutigen Weltbild eines Universums ohne eigentliches Zentrum dar. Für Galileo steht nicht mehr die Erde im Mittelpunkt aller Bewegungen im Universum, sondern die Sonne. Wie seine ptolemäischen Vorgänger sieht auch Galileo die Planeten in perfekt kreisrunden Bahnen im All reisen. Last but not least sieht Galileo die Fixsterne tatsächlich als fix an – seiner Meinung nach bewegen sie sich überhaupt nicht. Dies zusammen mit den Tatsachen, dass Galileos Theorie der Trägheit zwar einen Fortschritt gegenüber der aristotelischen darstellt, aber immer noch ungenügend ist, und dass eine gültige Theorie der Schwerkraft erst vom ein Jahr nach seinem Tod geborenen Isaac Newton entwickelt werden sollte, führt dazu, dass Galileos Theorie der Gezeiten, die er als krönenden Abschluss seines Beweises der Existenz einer kopernikanischen Welt betrachtet und auch so in diesem Werk behandelt, indem er ihr den ganzen abschliessenden vierten Band widmet – dass diese Theorie also aus heutiger Sicht recht unsinnig wirkt.
Doch über Wissenschaftsgeschichte und Physik mögen berufenere Leute abhandeln. Was mich am meisten faszinierte bei der Lektüre des Dialogo, ist das Talent, das Galileio als Schriftsteller offenbart. Das Werk stellt ein Gespräch dreier Personen dar, die sich über die beiden aktuell konkurrierenden Weltbilder unterhalten. Dargestellt wird das ganze als private Diskussion unter Freunden. Da ist Sagredo, der Gastgeber, der die Rolle des gebildeten und um Verständnis der aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen bemühten Laien inne hat. Da ist Salviati, der Galileos Sprachrohr darstellt. Beide waren Freunde Galileos, die unter diesen Namen tatsächlich existierten. Das Gespräch findet in Venedig statt, was angesichts der Tatsache, dass die Gezeiten zum Schluss eine wichtige Rolle spielen werden, sehr geschickt gemacht ist – es erhöht die Natürlichkeit der Situation. Immerhin scheint es zu jener Zeit immer mal wieder vorgekommen zu sein, dass eine Gondel in einem wenig befahrenen und nicht sehr tiefen Kanal stecken blieb, wenn die Ebbe einsetzte, und die Insassen ein paar Stunden warten mussten, bis sie von der einsetzenden Flut dann wieder Fahrwasser hatten. Dritter Mann der Gesprächsrunde, und der einzige, der nicht namentlich einer realen Gestalt nachgebildet ist, ist Simplicio, der Vertreter der alten, ptolemäisch-aristotelischen Weltsicht – und somit auch der katholischen Orthodoxie.
Simplicio, und hier wundere ich mich doch ein wenig über Galileo, heisst nicht nur so – er ist auch ein Simpel. Er versteht nichts von Mathematik oder Physik – auch nicht von deren ptolemäisch-aristotelischen Form. Er glaubt den Ansichten seiner Aristoteles-Exegeten, die diese ihrerseits durch ungeheure interpretatorische Kunstgriffe als echt aristotelisch verkaufen. (Die Parallele zur Bibel-Exegese der Kirche liegt auf der Hand, wird aber nicht explizit gezogen.) Wie er die offiziellen kirchlichen Ansichten einem derartigen Simpel in den Mund legen konnte, und dann noch hoffen, die Vertreter der katholischen Kirche und an deren Spitze sein einstiger Gönner Barberini, nunmehr Papst Urban VIII., würden sich nicht veräppelt fühlen, übersteigt mein Verständnis. Es sieht für mich so aus, wie wenn Galileo eine Verurteilung provozieren wollte.
Trotz allem aber war ich angenehm überrascht, wie lebendig und realistisch Galileo seinen Dialogo verfasst hat. Er wurde ja absichtlich in der Sprache des Volks, Italienisch, verfasst und nicht in der Gelehrtensprache Latein. Dies allein hätte wohl noch nicht gereicht, aber Galileo ist tatsächlich in der Lage, physikalische Experimente und Theorien in verständlicher Form darzustellen, ohne zu versimpeln. Galileos schriftstellerisches Talent macht das Buch auch für den gebildeten Laien zum Lesegenuss – genau das also, was nötig war, den italienischen Edelmann anzusprechen.
Eine literarisch überaus befriedigende Lektüre also.
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