Axel Görlach: halsermohnz

Schwarz auf weiß, in der Handschrift des Autors, steht der Titel des Buchs „halsermohnz“, alles in Kleinbuchstaben. – Ausschnitt aus dem vordersten Blatt.

Etwas erschrocken bin ich ja schon, als ich das vorliegende kleine Heftchen aus dem Umschlag zog, in dem es mir zugeschickt wurde. Ich hatte irgendwie völlig verdrängt, dass es sich bei halsermohnz von Axel Görlach gemäß Ankündigung ja um eine Broschüre handelt – will sagen: 36 Seiten mit ein einem etwas stärkeren Papier als Umschlag, Format kleiner als A5, in der Mitte von zwei Heftklammern zusammen gehalten. Was im Übrigen keinesfalls auf eine lieblose Präsentation hindeutet, im Gegenteil: Die grafische Anordnung der Gedichte ist eindeutig wohlüberlegt vorgenommen worden.

Gedichte also. Nicht viele, denn pro Seite steht nur ein einziges. Moderne Lyrik, will sagen: keine Strophen, keine Reime. Aber eine sehr harmonische, musikalische Sprache.

texte ohne sinn sind verboten, heißt es einmal (S. 14). Man könnte diesen Satz als Schlüssel zum ganzen Büchlein nehmen. Görlach spielt ironisch damit, dass wir Lesenden auch bei Gedichten immer nach einem Sinn verlangen, nach Inhalt. Aber welchen Sinn sollen wir für einen Satz wie wachsende taubheiten schon auf einem finger blind (zugleich das ganze Gedicht auf S. 23) annehmen? Görlach spielt mit den Bedeutungsfeldern von Wörtern, er spielt mit der Sprache. Sprachspielereien – Sprachspiele. Aber ergeben Sprachspiele immer Sinn?

Görlach nennt in seinen Gedichten einige Philosophen beim Namen; hier sind wir aber bei dem einen, den Görlach in seinen Gedichten nicht nennt: Ludwig Wittgenstein, auf den er sich aber – wissend oder nicht, ich denke: wissend – bezieht. Die Bezüge gehen sowohl auf den späten Wittgenstein, was die Sprachspielereien betrifft, wie auch auf den frühen mit dessen Aussage: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Wittgenstein verbietet nicht, darauf zeigen – ja, das Zeigen ist für viele Sprachphilosophen sogar der erste Schritt, um die Bedeutung eines Wortes zu herzustellen.

Görlach nun zeigt mit der Sprache immer wieder über diese, über das Wort, hinaus. Nehmen wir das titelgebende Wort halsermohnz – praktisch das einzige Wort übrigens in diesen Gedichten, dem wir aus dem alltäglichen Sprachgebrauch heraus keinen Sinn verleihen können. Nun weiß ich natürlich nicht, was sich der Autor dabei wirklich gedacht hat. Ich für meinen Teil sehe darin das heute im Deutschen praktisch verloren gegangene Wort „Sermon“ drin, eine Predigt also. Das „z“ am Schluss vielleicht ein eigentlich englischer Plural (der aktuell in die deutsche Sprache eindringt wie die invasiven Neophyten in die deutschen Wälder). hal könnte eine Halle sein, ein Ort, wo gepredigt wird (oder auch philosophiert, wenn wir an ähnliche Anlagen denken, in denen die antiken Philosophen zu Athen lehrten). Oder es ist ein Eigenname – und es gibt im Internet tatsächlich eine Seite mit der Überschrift Hall Sermons, auf der wir Predigten eines mir ansonsten unbekannten Bruce Hall aus den Jahren 1992-2004 nachhören können (was ich nicht gemacht habe). Es gibt aber auch eine US-amerikanische Rock-Band namens REO Speedwagon, in der lange Zeit ein Bassist namens Bruce Hall tätig war (so weit ich weiß kein Zusammenhang mit dem Prediger von gerade eben). Ich kenne die Band auch nicht, sehe aber im Netz, dass sie zum Beispiel ein Album veröffentlicht haben mit dem Titel You Can Tune a Piano, but You Can’t Tuna Fish – sie waren also auch sprachspielend. (Der anarchische Humor der Marx Brothers wäre hier noch zu nennen … – wir kommen vom Stäbchen aufs Stöckchen.)

Görlach selber sagt vom halsermohnz, er habe es/sie/ihn(?) erfunden; halsermohnz könne Kampf sein, Flucht, aber auch salamibrot mit gurke oder (um nicht die ganze Auswahl an Definitionen zu zitieren, die der Autor uns auf S. 25 liefert) element 120. Das nun ist wiederum interessant, denn das Element 120 – gibt es nicht. Es ist ein im Periodensystem bisher nur theoretisch gefordertes Element, das aber – sollte man es je herstellen können – wohl (für ein radioaktives Element) sehr langlebig sein würde. Görlach weist damit nicht nur über die Sprache hinaus sondern auch über die aktuelle Erfahrung, die aktuelle Welt.

Die Erfahrung kann ändern, ebenso die Welt. Womit wir zum Schluss bei einem anderen (von Görlach übrigens genannten) Philosophen sind, einem Vorsokratiker dieses Mal: Heraklit, dessen Logos (= Sprache oder Verstand im damaligen Wortgebrauch) die Welt als eine im ständigen Werden und Vergehen befindliche erfasst. Panta rhei – alles fließt.


Axel Görlach: halsermohnz. Black Ink Lyrik. Scheuring: Vogel & Fitzpatrick, 2025.

Wir danken dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 13

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