Guy de Maupassant: Stark wie der Tod [Fort comme la mort]

Olivier Bertin ist Maler. Er war einmal ein guter, ein innovativer Maler. Dann wurde er ein berühmter Maler. Jetzt…

Wir treffen ihn zu Beginn des Romans in seinem Atelier. Ruhelos tigert er auf und ab, auf der Suche nach einer Inspiration, nach einem Motiv für sein nächstes Bild. Damit hat Guy de Maupassant ein Grundmotiv seines Romans bereits vorgestellt: Olivier Bertin hat sich aus einfachen, bürgerlichen Verhältnissen zum Liebling der Haute Volée gemausert. Der Preis für seinen Aufstieg war hoch – er zahlte mit seiner Kunst. Wenn wir gegen Ende des Romans erleben, wie Bertin an der Kunstausstellung ins Gesicht hinein als ein von der Entwicklung überholter Künstler erklärt wird, so haben wir zu Beginn schon den Hinweis darauf gefunden, noch ohne dass er sich dessen bewusst wird. In allen wichtigen Belangen ist es so, dass er die Warhheit immer viel zu spät realisiert. Olivier Bertin ist künstlerisch tot, schon bevor er auch physisch stirbt.

Schliesslich schnappt sich der Maler eine Hantel und beginnt vor dem Spiegel ein paar Übungen zu machen. Er ist noch immer gut in Form, er sieht noch immer gut aus. Aber auch hier schleicht sich mit dem kleinen Wörtchen „noch“ die dem Manne nicht bewusste Wahrheit ein: Körperlich steht Olivier Bertin kurz vor seinem Verfall. Während er noch herumhantelt, tritt Oliviers Geliebte ins Atelier, Anne de Guilleroy. Die beiden sind seit rund 15 Jahren zusammen, und sie waren einander treuer als so manches Ehepaar. Auch sie ist „noch“ schön, hat „noch immer“ eine gute Figur. Dass im Grunde genommen sie es war, die ihn von der Kunst ins Kunsthandwerk abgedrängt hat, indem sie seine Fähigkeit, Stoffe täuschend echt wiederzugeben, bewundert und zum künstlerischen Ideal erklärt hat, weiss Bertin nicht. Er wird es bis zum Schluss nicht realisieren. (Auch sie hat es übrigens nie realisiert.)

Der Titel – Stark wie der Tod – ist ein Halbzitat aus der Bibel, genauer dem Hohenlied 8,6:

Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.

Somit haben wir im Titel das zweite Grundmotiv dieses Romans versteckt: Die Liebe. Die Liebe von Olivier zu Anne, vor allem aber die erst sanft aufkeimende, dann stürmisch ausbrechende Liebe von Olivier zu Annes gerade volljährig gewordener Tochter. Diese Tochter ist auf dem Land aufgewachsen und kommt jetzt nach Paris zurück. (Auch Maupassants Figuren sind eingefleischte Pariser!) Olivier sieht in ihr zuerst nur die jüngere Anne wieder, in die er sich einst verliebt hat, aber bald werden seine Gefühle grösser und übertreffen alles, was er je für Anne empfunden hat. Da die Tochter bereits in einer gesellschaftlich arrangierten Ehe versprochen ist, überdies Oliviers Gefühle keineswegs erwidert, wirft sich dieser unter eine vorbeifahrende Kutsche.

So weit, so simpel. Guy de Maupassants Kunst aber besteht darin, das Simple zu arrangieren. Tod und Liebe werden in diesem Roman immer wieder zusammen gekoppelt: Als Olivier Anne kennen lernt und zum ersten (und einzigen!) Mal portraitieren darf, trägt sie noch Trauerkleidung, weil sie um die Mutter ihres Gatten trauert. Doch diese erste Trauer ist auf Seiten Annes mehr oder weniger konventionell. Als Anne Oliviers Liebe zu ihrer Tochter entdeckt, sind beide in Trauer – diesmal um die eigene Mutter bzw. Grossmutter. Und diese Trauer ist echt und tief. Zusammen mit der Trauer um den Tod ihrer Liebe so echt und so tief, dass das Alter nun bei Anne gnadenlos zuschlägt. Sie zerfällt nachgerade vor den Augen des Lesers.

Ein weiteres Mittel zur Strukturierung, das Maupassant einsetzt, ist die Musik – das Hören von Musik. Die eigentliche Handlung – von Rückblenden abgesehen – spielt im Laufe eines einzigen Jahres: vom Frühling bis zum Winter. (Auch dies symbolisch!) Zu Beginn des Jahres und des Romans ist es eine Symphonie von Haydn, die Olivier Bertins Phantasie noch einmal anregen kann. (Zur Ausführung seiner Idee wird er aber nicht mehr kommen.) Franz Schubert – auf dem Klavier gespielt von der Gräfin, Anne – markiert den endgültigen Ausbruch von Oliviers Liebeskrankheit, noch ohne dass dieser seine Infizierung realisiert.

Den Höhepunkt dieser psychologischen Begleitmusik markiert die katastrophale Wirkung von Gounods Faust-Oper, an deren Ende Bertin von seinen Ideen schon regelrecht zerfressen ist. (Hermann Lindner im Nachwort meiner Ausgabe.)

Wobei bei letzterem Goethes Verse eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Noch vieles liesse sich zu diesem Roman sagen. Maupassant ist ein ausgezeichneter Beobachter und Schilderer sowohl des Individuums wie der (besseren) Gesellschaft. Darin geht er Autoren voran wie dem Wiener Arthur Schnitzler oder dem Pariser Marcel Proust. (Beide ja nur knapp eine Dekade jünger als er.) Maupassant ist der erste Autor der sog. Moderne. Das soll Maupassant nicht herabsetzen, im Gegenteil. Maupassant, von dem ich bisher nur einige Novellen kannte, und der als Romancier offenbar einen weniger guten Ruf geniesst, zeigt sich in Stark wie der Tod als eigenständiger und seiner kompositorischen Mittel sehr bewusster Autor. (Seinen Bel ami habe ich nie gelesen.) Eine durchaus empfehlenswerte Lektüre also.

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