Die Horen. Jahrgang 1796. Sechstes Stück

Merkwürdig genug ist’s: Wenn man nur die Namen der Beiträger zu dieser Nummer liest, und mit denen aus dem Jahrgang 1795 vergleicht (vielleicht nicht gerade mit der Star-Nummer von vor einem Jahr), kann man sich den Verlust an Qualität eigentlich gar nicht vorstellen. Denn auch im Juni 1796 schreiben grosse Namen mit. Das Gefühl, dass sie hier Reste verwerten, ist wohl ein rein Subjektives – zumindest Goethe hat doch einiges an Zeit und Energie in seine Cellini-Übersetzung gesteckt, und so viel Eigenes, dass sie heute in jeder Werk-Ausgabe zu finden ist. Er wollte sich ja für eine nochmalige Italien-Reise vorbereiten, nicht realisierend, dass der fast wort-wörtlich ‘umwerfende’ Eindruck, den ihm die erste Reise hinterliess, auch von daher stammte, dass er völlig unvorbereitet nach Rom, Neapel und Sizilien kam. (Oder vielleicht hat er es auch realisiert – seine sorgfältig mit Meyer geplante Reise kam nie zu Stande.) Aber – zu welcher sprachlichen Höhe sich Goethe auch immer in Lyrik und Drama noch emporschwingen konnte – seine Prosa trägt mächtige Spuren einer jahrzehntelangen Verwaltungstätigkeit und kann den heutigen Leser nicht in seinen Bann ziehen. Zusammen mit der Egozentrik Cellinis für mich ein unüberwindbares Hindernis bei der Lektüre.

Leider ist Johann Heinrich Voß nicht besser. Zwar verfügt er über den (deutschen) Hexameter wie wohl kein zweiter vor und kaum einer nach ihm. Aber mir will scheinen, dass er seinen Autor Theokrit etwas zu ernst nimmt, die Herablassung des Städters zum Landbewohner bei Theokrit übersieht, mit andern Worten: Zu viel Idylle darstellt, wo bei Theokrit (noch) keine war. Auch zwingt den Deutschen das Versmass manchmal zu unfreiwillig komischen Formen: die ausgeschändete Jungfrau steht neben einem zerstampfeten Molch – ersteres an ausgewaidetes Wild erinnernd, letzteres kindlich hopsend das eigentlich dämonisch gemeinte Bild ins Lächerliche überführend.

Gut, aber leider viel zu kurz für meinen Geschmack ist August Wilhelm Schlegels Auszug aus seiner Übersetzung von William Shakespeares Der Sturm. Da hätte ich gerne mehr gelesen; umso mehr, als ich nach wie vor der Meinung bin, dass bei allen Schwächen und Problemen die sog. Schlegel-Tieck’sche Übersetzung der Werke Shakespeares das Epithet ‘kongenial’ für einmal zu Recht trägt.

Es folgt noch eine Übersetzung, diesmal aus Platons Theaitetos. Weshalb der Titel Ein Nachtrag zu der Untersuchung über Idealisten und Realisten lautet, entzieht sich mir – erkenntnis- oder wissenschaftstheoretische Fragen wurden bisher in den Horen nicht angegangen. (Ausser, man möchte Jacobis Geschreibsel als einen solchen Beitrag betrachten.) Allerdings haben wir einfach eine (Teil-)Übersetzung Platons vor uns, keinerlei Kommentar.  Übersetzer ist der Zürcher Gelehrte Johann Jakob Horner – selbst in seiner Heimatstadt kein Begriff mehr.

Damit sind wir mit den Übersetzungen (fast) fertig. Es folgt ein längeres Gedicht von Kosegarten. Auch er zu jener Zeit durchaus ein Begriff im literarisch-kulturellen Leben Deutschlands. Leider ist sein Gedicht Das Geständniß in seiner Mischung aus Anakreontik und Empfindsamkeit für den heutigen Geschmack allzu süss.

Den Abschluss machen drei Gedichte von Samuel Gottlieb Bürde. Bürde hat sogar einen Eintrag in Wikipedia, man muss ihn aber trotzdem nicht kennen. Das erste Gedicht (Unbenutztes Wissen) ist ein fast epigrammatischer und fast witziger Sechszeiler, die beiden andern sind länger (das zweite – horribile dictu! – schon wieder eine Übersetzung, diesmal Aus dem Englischen) und schlechter.

Kann es noch schlimmer kommen? Es kann.

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