Ein eher laues Heft, auch wenn – wie wir im Forum feststellen durften – der Tiefpunkt dieser Zeitschrift noch nicht gekommen ist.
Es fängt an mit
Zufällige Ergießungen eines einsamen Denkers in Briefen an vertraute Freunde.
von Friedrich Heinrich Jacobi. In Form eines fiktiven Briefwechsels an eine Ernestine von F. lässt sich da einer aus über Gott und die Welt. Da wird zuerst das Schicksal von Louis XVI., der 1793 von Revoultionstribunalen hingerichtet worden war, mit dem des Shakespeare’schen Königs Lear und dem von Sophokles‘ Ödipus verglichen. Melodramatik pur. An Louis XVI. scheint nur Gutes gewesen zu sein, an der Revolution nur Schlechtes. Nicht, dass Jacobi so eine Äusserung begründen würde oder könnte. Es bleibt bei ihm alles Gefühl – nicht umsonst gilt er als Erfinder der „Schönen Seele“. Diesem Vergleich folgt alsbald eine Zusammenfassung der erwähnten Dramen, also des Lear, des König Ödipus und des Ödipus auf Kolonos. Darob geht ihm Louis XVI. verloren. Wozu diese Zusammenfassungen dem mutmasslichen Publikum der Horen gegenüber gut sein sollen, weiss ich nicht. Interessant wäre allenfalls, nach welcher Übersetzung Shakespeare zitiert wird. Wielands?
Anschliessend werden die Zufälligen Ergießungen immer zufälliger. Jacobi verlässt auch seine Dramen, um über Religion zu schreiben, kommt von der Religion auf die Wahrheit und von dort auf die Meynung. Alles ohne Tiefgang und Systematik. Der Leser erhält den Eindruck, dass da ein Autor wusste, dass er nur ein einziges Mal dazu kommen würde, in dieser renommierten Zeitschrift zu publizieren, und dass er so viel wie möglich von seinen Gedanken in seinen Aufsatz verpacken wollte. Leider war Jacobi ein Wirrkopf.
(Und – nebenbei – Schiller verletzt ein weiteres Mal sein sich selber auferlegtes Verbot, politisch zu werden. Denn so unpolitisch wie der gefühlsseelige Ton Jacobis suggeriert, sind seine Äusserungen keineswegs. Sie sind ein handfestes Plädoyer für den vorrevolutionären Zustand.)
Ugolino und Ruggieri. Fortsetzung von Dante’s Hölle.
Wie ganz anders August Wilhelm Schlegel. Obwohl auch dieser Aufsatz (der den Schluss eines längeren über mehrere Hefte der Horen verteilten Aufsatzes bildet – der vorhergehende Teil gerade erst im Siebenten Stück) etwas disparat wirkt. Der Leser erhält den Eindruck, dass Schlegel irgendwie froh war, am Ende von Dantes Reise durch die Hölle zu sein. So werden auch weniger die restlichen Kreise der Hölle vorgestellt, als das Schicksal von Ugolino und Ruggieri geschildert. Schlegel greift zurück auf Chroniken und Schriften anderer Autoren, um dem Leser vorzustellen, was Dante als bekannt vorausgesetzt hatte, als er seine beiden Leutchen im wahrsten Sinne des Wortes ineinander verbissen in die Hölle setzte. Das langweilt fast ein bisschen in seiner Ausführlichkeit, die wiederum sich scharf abhebt von der summarischen Schilderung des Höllenzentrums. Da wird Schlegel noch einmal ironisch, indem er sich und den Lesern nicht so recht erklären kann, warum nun neben Judas Ischariot als weitere Erzverräter ausgerechnet Brutus und Cassius dargestellt werden. Er findet den Abschluss der Hölle bei Dante wohl eher komisch oder bizarr. Der Moment, wo Dante und Vergil am eiskalten Höllenschlund vorbei tiefer steigen und das Ganze dann kippt, und die beiden wieder hoch steigen (auf den Läuterungsberg nämlich) ist für Schlegel das Zeichen zum Abbruch.
Dantes Inferno, der am wenigsten theologische Teil, ist natürlich einer Lektüre ohne grösseren Widerstand zugänglich. Schon das Purgatorio, geschweige denn das Paradiso, verlangen mehr. Schlegel, auch hierin gewiefter Kritiker, wusste das offensichtlich sehr wohl, und verzichtet stillschweigend darauf, vom Leser mehr zu fordern, als der geben kann.
Ueber die Idee der Alten vom Schicksal.
Ein Jura-Professor, der sich als Philosophie-Historiker übt? So was ähnliches auf jeden Fall. Karl Heinrich von Gros (1765-1840) gibt seinen Artikel als ein Stück Philosophiegeschichte aus. In Tat und Wahrheit ist es eine kleine juristische Abhandlung über die Freiheit, eine Tat zu begehen oder eben nicht, und über die daraus resultierende Strafmündigkeit.
Wo er philosophisch tut, ist er argumentativ hilflos. Wo er juristisch wird, kann er nicht argumentieren, sondern nur des Täters Handlungs- und Zurechnungsfähigkeit festhalten. Mit den Alten und deren Schicksal hat das nur insofern zu tun, als er am Beispiel des Oedipus argumentiert. Dass er dabei alle Tiefen, die dieser Charakter besitzt, einebnet, zeigt halt nur, wie wenig ein Jurist vom Menschen verstehen muss…
Ueber griechische und gothische Baukunst.
Der Autor, Lazarus Bendavid, ist mir gerade erst – nämlich im letzten Band von Lichtenbergs Briefwechsel – als einer der minderen Korrespondenten Lichtenbergs aufgefallen. Er hat da ein paar Mal mit Lichtenberg korrespondiert, weil er von der Idee besessen war, dass der liebe Gott den Baumeistern des alten Tempels zu Jerusalem schon 3’000 Jahre vor Entdeckung des Blitzableiters durch die Wissenschaft, eingegeben haben könnte, wie sie ihr Bauwerk vor Blitzschlag schützen könnten.
Ähnlich ist auch dieser Aufsatz eine krude Mischung von interessanten Ideen und völliger Unwissenheit im gewählten Sujet. Bendavid verankert die Gothik problemlos beim alten germanischen Volksstamm und führt so den Baustil ins 5. Jahrhundert u.Z. zurück. Andererseits entwickelt Bendavid den Begriff einer Geschmackseinheit. Um die Formulierung von „Sir Thomas“ aus dem Forum zu übernehmen: Ein Künstler muss, im Unterschied zum Handwerker, einen allgemeinen Begriff seines Gegenstandes, ein Vorverständnis bzw. die Möglichkeit einer Geschmacksbildung a priori voraussetzen, um nicht zum reinen Kunsthandwerker zu werden. (Wobei Bendavid den modernen Zwitter des „Kunsthandwerkers“ nicht kannte – für ihn gab es nur Künstler oder Handwerker. Dafür vergleicht er dann die verschiedenen Stile der Kapitälchen mit den verschiedenen Ständen in einem Staat. Und sieht die perfekte Harmonie in der Aristokratie – die wiederum natürlich nur die alten Griechen in Perfektion ausgebildet hatten. Und somit hatten auch nur die alten Griechen – und keineswegs die Gothen oder Araber! – perfekt harmonisch gebildete Säulengänge. Das sind erste Anklänge einer späteren, sowohl über Winckelmann wie über Moritz hinausweisenden Ästhetik. Ich glaube aber nicht, dass ein Jacob Burckhardt z.B., oder gar ein John Ruskin, diesen Aufsatz je gelesen haben.)
Einmal mehr lässt Schiller die Politik durch die Hintertür einschleichen. Es ergreift einen nachgerade das Gefühl, die Autoren hätten sich verschworen, in harmlos klingende Themen jeweils noch ein bisschen Tagesgeschäft zu verpacken…
2 Replies to “Die Horen. Jahrgang 1795. Achtes Stück”