Als Gustav Freytag seine Bilder aus der deutschen Vergangenheit schrieb, befand sich das Deutsche Reich gerade in der Endphase seiner Konstituierung. Noch wehrten sich vor allem die süddeutschen Staaten gegen eine Hegemonisierung durch Preußen; ein gross-deutsches Reich unter Einbezug der deutschsprachigen Teile von Österreich-Ungarn war bereits vom Tisch. Freytags Bilder sind denn (auch) Parteinahme. Der hier behandelte zweite Teil, der vom Mittelalter in die Neuzeit reicht (bis zur Reformation und zum Dreissigjährigen Krieg), macht das deutlich.
Dabei ist dieser zweite Teil bedeutend weniger schön zu lesen als der erste. Freytags Technik wird mechanisch angewendet: Grosskapitel mit verschiedenen kleinern Kapiteln, in den kleinen Kapiteln jeweils zuerst eine Art Einführung oder Übersicht durch den Autor, dann – als „Bild aus der Vergangenheit“ wohl – Auszüge aus einem zeitgenössischen Text. Diese Texte dann in ein archaisierendes Neuhochdeutsch übersetzt, gekennzeichnet durch Floskeln à la „er hub an“ für „er fing an“. Das ermüdet und macht selbst die interessanteren der ausgewählten Texte langweilig; und die meisten davon sind in sich schon nur mässig interessant. Auch die recht positive Haltung des ersten Bandes gegenüber den Juden wird zurück genommen: Am Schwindel, der bei den Münzprägungen untergekommen ist, sind selbstverständlich nur die jüdischen Kaufleute mit schuld – die deutschen werden als (wie wir heute sagen würden) toughe Typen und mutige Abenteurer heroisiert. (Im übrigen erzählt Freytag zu den Münzpräge-Schwindeln im zweiten Band mehr oder weniger dasselbe nochmals, das er schon im ersten erzählt hat. Mangelnde Aufmerksamkeit und schlechtes Lektorat kommen so zu den übrigen Mängeln dieser Fortsetzung.)
Dabei ist Freytags Ansatz durchaus interessant. Die Geschichte wird nicht als Aneinanderreihung grosser Ereignisse und Kriege geschildert; nicht die Taten grosser Feld- und anderer Herren stehen im Mittelpunkt, sondern der ‚kleine Mann‘. Selbst der Dreissigjährige Krieg, der etliche Seiten in Anspruch nimmt, wird aus Zeugnissen der Opfer, kleiner Pfarrherren oder Bauern, geschildert – wer den Verlauf des Kriegs konkret nachvollziehen möchte, wird von Freytag im Stich gelassen.
Freytags Fokussierung auf den ‚kleinen Mann‘ und auf das Deutsche Reich hat allerdings auch andere Konsequenzen: Renaissance und Humanismus werden praktisch ausgeblendet. Das ist in sich logisch, sind doch beides Bewegungen, die nicht im deutschen Raum entstanden sind, und die dort relativ wenig Widerhall gefunden haben. So werden gerade mal knapp und eher nebenbei Erasmus und Melanchthon erwähnt. Der Reformation hingegen wird breiter Raum zugewiesen, ist sie doch für Freytag die deutsche Geistesbewegung schlechthin. Sie liess für ihn das deutsche Wesen zu sich zurückfinden; sie hat, seiner Meinung nach, unter anderem die Ehe als Institution gerettet, die Geschlechtsbeziehungen wieder saniert. Für die Reformation macht Freytag auch die grosse Ausnahme, dass hier nicht nur aus der Sicht des ‚kleinen Mannes‘ referiert wird; hier wird Martin Luther ausführlich vorgestellt, aus seinen Schriften ausführlich zitiert.
Am besten gelungen sind Freytag, wie schon im ersten Band, aber seine Bilder aus dem Volksleben. In diesem Band ist es die Schilderung eines typisch deutschen Schützenfestes, wo der Bürger der deutschen Stadt sich mit Bürgern anderer Städte zusammentut, um zu schiessen, zu essen und zu trinken. Solche Szenen liegen Freytag. Und so ein Kapitel kann mich mit dem zweiten Band fast versöhnen. Fast.
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