Unter den christlichen „Denkern“ sind es vor allem Hans Küng und Joseph Ratzinger, denen Albert besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lässt (wobei die meisten der zitierten Werke von Christoph Schönborn über Notker Wolf (Altprimas des Benekdiktinerordens), Wolfang Huber (evang. Bischof) bis zu dem unsäglichen Alexander Kissler (der fast alljährlich mit irgendwelchem zusammengeschmierten Unsinn zum Waldsterben beiträgt) dieselbe Strategie verfolgen: Man konstatiert eine Inkompatibilität zwischen dem Sprechen über Wissenschaft und Religion und fordert für diese Kritikimmunität ein, weil sich theologisches Denken dem wissenschaftlichen Diskurs entziehen würde). Das tun auch Ratzinger und Küng, womit man das Peinlich-Dümmliche und für jeden denkenden Menschen Anstößige des christlichen Glaubens vergessen gemacht werden soll: Denn der lächerliche Wunderglaube nebst Auferstehungsszenarien und Jüngstem Gericht ist selbst den Granden der Kirche peinlich, weshalb man eben entweder eine Art von Entmythologisierung im Sinne Rudolf Bultmanns betreibt (die scheitern muss, weil man an bestimmten Stellen abbrechen muss, um nicht die Kerndogmen des Glaubens zu gefährden) oder aber von nicht übersetzbaren Sprachspielen im Sinne des späten Wittgenstein fabuliert, die sich vorgeblich jeder Übersetzung entziehen würden.
Dass ein vor über 2000 Jahren entstandener Mythos nicht mehr als ein ernsthaftes Welterklärungsmodell fungieren kann, liegt auf der Hand (vom Gilgamesch-Epos fordert man das ebensowenig wie von Hesiods Kosmogonie). Im Unterschied zu letzteren aber versuchen Christen jedweder Couleur ihr Märchen auf abenteuerliche und heuchlerische Weise in die Gegenwart zu retten und bedienen sich hiefür einer Hermeneutik, die das erwähnte Anstößig-Peinliche zu kaschieren versucht. Eigentlich sind die peniblen Analysen Alberts eine Form des Eulen-nach-Athen-Tragens: Wahrscheinlich wissen auch alle Theologen und Gläubigen um das Verlogene dieser Unternehmen, weshalb sie auch nicht wirklich versucht sind, die diversen Glaubensinhalte zu verteidigen (was denn auch sofort scheitern würde), sondern einen Sonderstatus für dieses ihr religiöses Denken zu beanspruchen (um den Austausch rationaler Argumente zu vermeiden, ja die Rationalität für nicht zuständig zu erklären). Dazu kommen die abenteuerlichsten Sprachverrenkungen, die unter einem metaphorischen Wortgeklingel die Substanzlosigkeit und Leere der Erläuterungen zu verbergen suchen.
Dabei kommt es dann zu fast schon unterhaltenden Paradoxien: So sprechen sowohl Ratzinger als auch Küng (wie fast alle anderen Autoren) von dem „Urgeheimnis“ Gottes, dem „Urgrund“ und dem Unbegreiflichen und Undefinierbaren, um sich dann seitenlang in aberwitzigen Begriffsdefinitionen zu ergehen, wobei Gott weder als „personal oder apersonal sondern transpersonal“ beschrieben wird, dessen „Immanenz in der Transzendenz, dessen Transzendenz in der Immanenz“ besteht und der daher als die Wahrheit und weiter als die Liebe zur Welt und zu den Menschen jenes Vertrauen in die Wirklichkeit verleiht, dass sich durch die innere Rationalität manifestiert. Und das, obwohl Gott durch keinen Begriff zu begreifen, durch keine Definition zu definieren sei. Ad infinitum.
Zu solchen Absurditäten muss man sich versteigen, weil eine verständliche, rational-logischen Argumenten zugängige Diskussion vermieden werden soll: Selbstredend wissen die in Frage stehenden Autoren, dass sich etwa Wissenschaft und Auferstehungsglaube diametral gegenüberstehen und eine häufig vorgeschobenen Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse nur durch solche heuchlerischen Winkelzüge aufrecht erhalten lässt. Und daneben bleibt auch ein weiteres Problem des Schöpfergottes immer bestehen: Das der Theodizee, das in den meisten Fällen einfach ignoriert zu werden pflegt (oder aber mit einem Hinweis auf die „Freiheit“ des Menschen abgetan wird: Obwohl nicht zu sehen ist, warum ein allmächtiger, allgütiger Gott das nicht hätte ganz einfach lösen können).
Eigentlich sind die fortgesetzten Lächerlichkeiten theologischer Provenienz vom philosophischen Standpunkt aus nicht der Rede wert – wären da nicht hochangesehene Philosophen wie Jürgen Habermas, die ein solches Denken (den freiwilligen Verzicht auf eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Thesen) ebenfalls propagieren. Natürlich hat die Frankfurter Schule und ihre Vertreter mit Aufklärung nie viel im Sinn gehabt (man lese einfach die „Dialektik der Aufklärung“ und findet dort eine banale Form von Wissenschaftsfeindlichkeit, die einem Heidegger alle Ehre gemacht hätte). Dass nun aber Habermas auf seine alten Tage eine derartige Vernunftbeschränkung einfordert und sich hier mit Joseph Ratzinger in eine Allianz begibt, kommt doch in dieser expliziten Form einigermaßen überraschend. Andererseits – wer die Habermasschen Verrenkungen über das letzte halbe Jahrhundert auch nur ein wenig verfolgt hat, kann ob seiner Indolenz gegenüber jeglicher Kritik nicht wirklich erstaunt sein – hat er sich doch vom Positivismusstreit bis zu seinem jetztigen „nachmetaphysischen Denken“ nie das Mindeste um Argumente oder Kritik geschert. Deshalb ist es auch mehr als berechtigt, wenn Albert ihn in diesem Buch gleichzeitig mit all den Theologen und christlichen Apologetikern behandelt: Zielte doch auch Denken sein von Anfang an darauf ab, den wissenschaftlichen Erkenntnissen (dem Herrschafts- und Leistungswissen) in seinem von Scheler übernommenen Modell der drei „Wissensformen der Gesellschaft“ keinen Einfluss auf geistige Bildung bzw. Erkenntnis oder Religiosität einzuräumen. Insofern ist seine Wendung hin zu einem metaphysischen Dualismus, der sich über uralte idealistische Probleme den Kopf zerbricht (warum und wie denn „Welterklärungsmodelle“ in einer kontingenten Welterfahrung Wirkung entfalten können) nichts als aufgewärmter, idealistischer Quark, der eine Realität der Welt nicht anzuerkennen gewillt ist und sich dann verwundert zeigt, weshalb Modelle, die genau diese Welt erklären wollen, sich in der Wirklichkeit bewähren (oder auch nicht).
Ich halte Hans Albert für einen der bedeutendsten Philosophen der letzten 60 Jahre im deutschsprachigen Raum. Er hat kaum eine Auseinandersetzung gescheut, sich häufig dem Zeitgeist entgegengestellt – und während er in der Sache unbeugsam und mit großer Präzision seine Position verfocht, ließ er sich nie zu persönlichen Angriffen verleiten. Er war der Protagonist für die Popularisierung des Kritischen Rationalismus in der deutschen, philosophischen Landschaft und das einzige, was ihm vielleicht vorgeworfen werden könnte, war – bedingt durch seine Freundschaft zu Karl R. Popper – seine Nachsicht gegenüber dessen idealistischer Positionierung in dessen 3-Welten-Theorie (ich kann mich an keine einzige Erwähnung der „Drei Welten“ in irgendeinem seiner Bücher erinnern). Desgleichen hat er auch die von Popper und Eccles vorgestellte Philosophie des Geistes (mit Recht) ignoriert: Ich vermute, dass er beiden Konzepten seine Zustimmung versagt hätte.
Der Nachteil des vorliegenden Buches liegt in seiner teilweisen Redundanz: Da sich die Positionierungen der Theologen weitgehend gleichen und sie allesamt sich einer Form der „hermeneutischen Apologetik“ bedienen, ist die Lektüre ein wenig ermüdend. Nichts Neues in den religiösen Denkwüsten, wobei als Amusement einzig die annähernde Ununterscheidbarkeit in der Diktion zwischen Hegelei, Frankfurter Schule und den abstrusen Satzungetümen eines Küng oder Ratzinger zurückbleiben. „Welt ist objektiver Geist“, sie begegnet uns „in einer geistigen Struktur“, biete sich also „unserem Geist als nachdenkbar und verstehbar an“. Der Gottesglaube drücke „die Überzeugung aus, dass objektiver Geist Ergebnis subjektiven Geistes“ sei und „überhaupt nur als dessen Deklinationsform bestehe“, dass – anders ausgedrückt „Gedachtsein nicht ohne Denken möglich sei“. Das könnte Ratzinger von Hegel abgeschrieben haben und gereicht diesem in seiner logischen Kurzschlüssigkeit zur Ehre: Weil die Struktur der Welt durch Nachdenken erfasst werden kann, lässt sich nämlich keineswegs folgern, dass diese Welt deshalb durch das Denken eines subjektiven Geistes geschaffen worden ist. Hier reichen sich Weltgeist und der liebe Gott einträchtig die Hand und bezeugen jenen Metaphysikern untertänigst Dank, die ihnen durch sinnfreie Wortwolken Existenz verliehen zu haben meinen.
Hans Albert: Kritik des theologischen Denkens