Anthony Burgess: A Clockwork Orange

Ort der Handlung: England. Zeit der Handlung: eine nicht zu ferne Zukunft. Alex und seine drei Droogies machen die Nachbarschaft unsicher. Sie pöbeln Leute an und/oder schlagen deren Wohnungen oder Geschäftseinrichtungen kurz und klein – ohne Personen dabei zu verschonen. Alex‘ Bande ist nicht die einzige im Quartier. Alle diese Jugendbanden sind untereinander verfeindet, und so hat Alex nicht nur ständig vor der Polizei auf der Hut zu sein, sondern auch vor seinen Altersgenossen.

Alex ist aus der letzten ‚Correction School‘ entlassen worden und lebt zu Hause bei seinen Eltern. Schon seit längerem konnte ihm die Polizei nichts mehr nachweisen, was ganz und gar nicht heisst, dass er und seine Droogies nichts angestellt hätten. Erzählt werden Alex‘ Abenteuer aus der Sicht des Protagonisten. Alex spricht dabei einen fiktiven, von Burgess erfundenen Teenager-Slang, der auf vorwiegend slawischen Wurzeln beruht. Durch die Verwendung dieses fiktiven Slangs erhält das Buch nicht nur fiktive Authentizität, die stattfindende Verfremdung der Realität schafft Distanz und Kühle. Selbst wo Burgess nicht direkt auf slawische Wurzeln zurückgreift, verfremdet er die Orthographie einiger Wörter – so schreibt er z.B. ‚boorjoyce‚ für ‚bourgeois‘, womit er nicht nur Alex‘, nach Standardwerten inkorrekte Aussprache charakterisiert, sondern natürlich auch auf die Quelle seiner Verfremdungstechnik verweist: James Joyce.

Im übrigen ist Alex ein merkwürdiges Bürschchen: Schläger, Vergewaltiger, Mörder einerseits, in seinen litererarischen Anspielungen profunder Kenner der Literatur andererseits (er zitiert unter anderem folgende Autoren, oder wandelt ihre Aussagen ab: Priestley, Shakespeare, Schiller, Yeats, Eliot, Voltaire, Rimbaud, Mallarmé), und last but not least Liebhaber klassischer Musik. Mozart und Händel sind grosse Fixsterne an seinem musikalischen Himmel, aber alle werden überstrahlt durch Ludwig van (Beethoven).

Die eigentliche Hauptperson des Romans ist der Gefängnispriester, der mit Alex Gespräche führt, bevor und auch nachdem letzterer jene merkwürdige Konditionierung erfahren hat, die macht, dass er keine unrechten Taten mehr verüben kann, körperlich dazu unfähig ist. Der Priester ist in diesem ganzen, kurzen Roman die einzige Figur, die menschlich nach unserern Massstäben denkt und handelt. (‚Handelt‘ eben auch darin, dass er nichts unternimmt, um Alex vor der brutalen Behandlung zu bewahren, weil er um seinen eigenen Job fürchtet, das auch zugibt.) Kann – und das ist das zentrale Thema des Romans – ein Mensch von einem philosophisch-ethischen Standpunkt aus ‚gut‘ genannt werden, wenn es ihm de facto unmöglich ist, Schlechtes zu tun? (Was an ähnliche Fragen der Scholastiker erinnert. Burgess war Katholik.)

Alex wird vom Bösen geheilt, und nun winkt die Chance seiner Opfer, der vermeintlich ‚Guten‘, sich an ihm zu rächen. Der letzte dieser Rachzüge fällt so brutal aus, dass sich Alex aus dem Fenster stürzt, um im Selbstmord seinen Peinigern zu entgehen. Zufall oder Absicht der behandelnden Ärzte? Alex erwacht im Krankenhaus – wieder voll übler Gedanken und Pläne. So erleben wir ihn im vorletzten Kapitel als neues Oberhaupt einer neuen Gang, mit andern Droogies. Es folgt allerdings noch das siebte Kapitel des dritten Buchs, bis heute oft weggelassen, weil es in der US-amerikanischen Erstausgabe auf Druck des Verlags weggelassen wurde – ein Kapitel, in dem Alex realisiert, dass einmal mehr einer seiner Droogies selber Ambitionen auf die Führung der Gang hat. Nur diesmal fühlt Alex sich zu müde, um um die Vorherrschaft zu kämpfen. Er lässt die Gang unter dem (offiziell nur interimistischen) Führer losziehen und zieht sich selber, was er noch nie getan hat, weil Leute seines Alters so was nicht tun, in eine Teestube zurück. Dort trifft er auf Pete, ehemaliges Mitglied seiner ersten Gang. Pete ist mittlerweile 19, verheiratet und seine Frau voll guter Hoffnung auf baldigen Nachwuchs. Alex realisiert, dass auch für ihn, der gerade 18 geworden ist, die Zeit der Jugendgangs vorbei ist. Das Uhrwerk tickt, der Zeiger hat einen Sprung nach vorne gemacht.

Dystopie oder ein Coming-of-Age-Roman? Wohl beides. Faszinierend aber vor allem durch die von Burgess erfundene Kunstsprache seines Protagonisten, die eine eigene Musikalität entfaltet und so bestens zu den musikalischen Lieben des Helden passt.

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