Friedrich Schiller: Über Anmut und Würde

Auf dunkelgrünem Hintergrund eine hellgrüne Figur, die breitflächig und zugleich verästelt ist, also nicht weiter definierbar. – Ausschnitt aus dem Buchcover.

Ueber Anmuth und Würde (so die Original-Rechtschreibung der Zeit) war Friedrich Schillers erste Auseinandersetzung mit dem Problem des Zusammenhangs zwischen Ethik und Ästhetik Sie erschien 1793 in seiner eigenen Zeitschrift Neue Thalia. (Es scheint, dass Schiller gerne neue Zeitschriften gründete, um darin seine theoretischen Werke unterbringen zu können …) Eine ursprünglich geplante weitere und genauere Ausführung dieses Aufsatzes scheiterte; statt dessen verfasste Schiller zwei Jahre später Über die ästhetische Erziehung des Menschen, einen Aufsatz, der nicht nur ausführlicher ist, sondern auch besser komponiert. Denn Über Anmut und Würde ist doch sehr rhapsodisch zusammengefügt, was ein Verständnis des Inhalts leider erschwert.

Immerhin finden wir von Anfang an eine Einteilung des Aufsatzes in die beiden titelgebenden Bestandteile. So fängt er beim vermeintlich einfacher verständlichen Teil an, der Ästhetik. Schiller begreift „Ästhetik“ als einer der ersten deutschsprachigen Philosophen fast ausschließlich als Lehre von der Schönheit. Fünf Jahre nach diesem Aufsatz Schillers hier würde Herder für den Begriff „Ästhetik“ bochmals das alte (v.a. von Baumgarten festgelegte und auch bei Kant teilweise anzutreffende) Verständnis der Ästhetik als einer Erkenntnis der unteren Sinne in seiner Metakritik von Kants Kritik der reinen Vernunft gebrauchen. Auch Schiller setzt sich mit Kant auseinander, allerdings – auch geleitet von seiner moderneren Definition des Begriffs „Ästhetik“ – nicht mit dessen Erkenntnislehre sondern vorwiegend mit Kants in der Kritik der Urteilskraft diskutierten Lehre der Beurteilung von Kunstwerken.

Mit dem ästhetischen Teil zu beginnen, heißt für Schiller zunächst einmal, Anmut zu unterscheiden von – nicht Würde sondern – Schönheit. Er braucht dazu das Bild der Göttin Venus, die zwar nicht ihre Schönheit weitergeben konnte, aber mit dem Verleihen ihres Gürtels ihre Anmut. Anmut ist also gewissermaßen künstlich, im besten Fall künstlerisch. Vorliegende Definition bedeutet aber auch, dass sogar Hässliches „anmutig“ sein kann. (Schiller formuliert zurückhaltender und nimmt das Beispiel der Venus, die Juno ihren Gürtel verliehen hat, als letztere einst ihren Gatten Zeus ver- und zu sich zurück führen wollte.)

Hierbei streift Schiller dann doch noch einmal die ältere Definition von ‚Ästhetik‘, denn für ihn weist der Mensch eine Doppelnatur auf: Er ist zugleich Gefühls- wie Vernunftwesen. Wenn nun das Gefühl also auch Hässliches als anmutig empfinden wird, muss die Vernunft korrigierend eingreifen. Dazu gibt es die Würde, ein Begriff, den Schiller Kants Ethik entnimmt. Würde ist der Ausdruck einer erhabenen Gesinnung. Die Würde wiederum ist bei Schiller gekoppelt an den Begriff eines freien Willens – und wohl nicht von ungefähr finden wir im vorliegenden Aufsatz sehr viele Vergleiche, die eigentlich aus der politischen Philosophie stammen (zum Beispiel immer wieder als Erklärungsmodell die verschiedenen Regierungsformen, die schon die Antike kannte). Diese Vergleiche dienen Schiller ihrerseits dazu, zu beweisen, dass Würde alleine auch nicht von Gutem ist. (Und ja: Schiller zieht aus seinen Feststellungen auch politische Konsequenzen.)

Erst die Kombination von Anmut und Würde in der schönen Seele ist zielführend. Den Ausdruck der schönen Seele nimmt Schiller von Wieland, deren Verwirklichung sieht er, inspiriert von Winckelmann, dann in antiken Statuen.

Betrachtet man den formal rhapsodischen Aufbau, und auch die Diskussion des Genie-Begriffs, die eingestreut wird, so sieht man, wie stark Schiller 1793 noch dem Sturm und Drang verhaftet war. Weshalb denn auch Goethe – zu jener Zeit aus Italien zurück und unter dem aktuellen Eindruck eben jener von Schiller sozusagen nur theoretisch rezipierten antiken Statuen bereits auf dem Weg zur Klassik – gerade wegen dieses Aufsatzes hier Schiller auswich. Was Goethe, dessen eigene Kant-Rezeption sehr eigenwillig und im Grunde genommen vernachlässigbar war, nicht sah, war Schillers Rezeption Winckelmanns nicht nur in einem aufklärerischen Geist sondern ebenfalls bereits in der Vorbereitung zur deutschen Klassik. Letzteres wiederum sah Kant, verstand oder schätzte es aber nicht, weshalb er zwar Schillers Aufsatz in einem eigenen (zur Religion!) zunächst lobte, dann aber jedwede Schiller’sche Kritik an seinem Denken zurückwies.

Nun, in aestheticis war Schiller, der ja auch Praktiker war, wohl die kompetentere Person. Und Über Anmut und Würde ist auf Grund seines rhapsodischen Aufbaus zwar nicht ganz einfach zu lesen, aber zu einem Verständnis nicht nur des Philosophen Schiller sondern der ganzen Deutschen Klassik im Grunde genommen unumgänglich.

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