Um allfälligen Verdächtigungen gleich vorzubeugen: „Frölein Da Capo“ ist der selbst gewählte Künstlername der Schweizer Musikerin und Entertainerin Irene Brügger. Um genau zu sein, ist „Frölein Da Capo“ Künstlername, Kunstfigur und Programm in einem. Denn als „Frölein Da Capo“ tritt sie seit ein paar Jahren auf – im Fernsehen oder auf der Bühne, zusammen mit Kollegen oder auch solo (sola?).
Die Kunstfigur „Frölein Da Capo“ trägt grundsätzlich Petticoat und hochhackige Schuhe, dazu eine brave Frisur (Pferdeschwanz oder kunstvoll um den Kopf drapiertes Haar à la Betty Bossi). So stellt man sich das typische US-amerikanische Landei der 50er des letzten Jahrhunderts vor. Mit diesem Landei-Image spielt die Entertainerin denn auch virtuos. Ob es nun der demonstrativ zur Schau getragene breite Luzerner Dialekt ist (ja, auch Luzern-Deutsch kann breit daher kommen!) oder der eben so demonstrative Tick, immer und immer wieder das Mieder des Petticoat hochziehen zu müssen – wie wenn „Frölein Da Capo“ sich und die Männerwelt glauben machen wollte, dass dieses Ding tatsächlich so weit verrutschen könnte, dass ein substantieller und unerlaubter Einblick zu gewinnen wäre. Daneben aber führt „Frölein Da Capo“, im Gegensatz zu jener andern Kunstfigur „Atze Schröder“, kaum ein Eigenleben. Ihr Leben deckt sich vielmehr mit dem ihrer Erfinderin. Auch das „Frölein“, wie sie sich oft kurz nennt, hat einen Mann und zwei Kinder, ist also technisch gesehen gar kein Fräulein. (Dadurch dafür typisch für die Schweizer Provinz, wo Irene Brügger aufgewachsen ist und noch heute mit der Familie lebt, und wo eine Frau in ihrem Alter halt verheiratet ist und Kinder hat.)
„Frölein Da Capos“ Bühnenutensilien bestehen aus einem mittelkleinen Teppich (billig, an noch billigere Orient-Teppich-Imitate gemahnend) vor dem Mikrophon, einem Tischchen links mit einem kleinen Keyboard, einem Gartenzwerg („Erwin“, ihrem musikalischen und choreographischen Mentor) und einer kitschigen Nachttisch-Lampe, die für die Show angeknipst wird, in der Pause aus ist und nachher wieder an. Auf der rechten Seite des so gebildeten Halbkreises weitere Instrumente: Gitarre, Euphonium und Trompete – Frau Brügger war, als sie noch Hodel hiess, Mitglied der lokalen Blasmusik-Gesellschaft. In diesen Halbkreis tritt dann „Frölein Da Capo“. In der Art der Stand-Up-Comedians liefert sie ihr Programm ab: selbst komponierte und getextete Lieder und überleitende Texte. Ihre Themen sind meistens die komplizierten Beziehungen der Geschlechter und das Leben in der Provinz, oft beides vermischt. Sie trifft damit einen Nerv der Schweizer, denn geschätzte 99% der Schweizer stammen aus der Provinz. (Ja, es gibt ernsthafte Diskussionen darüber, ob nicht sogar die grösste Stadt der Schweiz, Zürich, noch als Provinz zu betrachten wäre.) Aber für die Luzernerin aus dem Napf-Gebiet war es schon eine Heldentat, in die Grossstadt Winterthur zu reisen. Dabei nimmt „Frölein Da Capo“ nicht nur die Schweizer Provinz auf den Arm, musikalisch gesehen kommen auch die USA gehörig unter die Räder – seien es „Frölein Da Capos“ Seitenhiebe gegen die prinzipiell melancholischen US-amerikanischen Singer-Songwriter, oder gegen den Kitsch, der in einem handelsüblichen US-amerikanischen Blues-Gesangsstück integriert ist. (Den sie ähnlich ad absurdum führt wie Meg Ryan, und den Schluss des Stücks, das auch das letzte Stück vor der Pause ist, in einem gesungenen Orgasmus enden lässt, wo das „Frölein“ die Contenance derart verliert, dass sich ihre kunstvolle Frisur auflöst. Der verlorene Haarreif wird den ganzen zweiten Teil hindurch noch am Boden liegen.)
„Frölein Da Capo“ ist witzig, ironisch und auch selbstironisch. Ihre Texte mögen nicht den höchsten intellektuellen Ansprüchen genügen – weit genug über dem Stammtisch-Niveau, das vor allem bei deutschen so genannten ‚Comedians‘ Einzug gehalten hat, sind sie allemal. Als Instrumentalistin ist sie bestenfalls Mittelklasse, vorgestern Abend war sie noch darunter. Vor allem die Euphonium-Einsätze gelangen ihr nicht so richtig – was sie allerdings mit Charme in ihren Auftritt zu integrieren wusste. Hier ist nun der Moment, den ‚Familiennamen‘ des „Frölein“ zu erklären: da capo. Diesen Namen verdankt sie dem Einsatz eines so genannten Loop-Geräts. Das ist ein kleines elektronisches Ding, das ihr erlaubt, musikalische Sequenzen aufzunehmen und wiederzugeben, ja, während der Wiedergabe weitere Spuren dazu aufzunehmen. So kommt es, dass „Frölein Da Capo“ auch das einzige Schweizer „Einfrauorchester“ darstellt. Rhythmus-Sektion, Hintergrundchor, die Bass-Sequenzen des Euphonium usw. werden der Reihe nach vor Publikum eingespielt, wobei das „Frölein“ das Loop-Gerät mit den Füssen bedient. Oder eben, wie vorgestern Abend, auch nicht bedient, weil ihre neuen Schuhe noch nicht drehen – sprich: von den Schaltern und Knöpfen abrutschen. Was das „Frölein“ dazu zwingt, sich zu bücken und die Schalter und Knöpfe von Hand zu bedienen. Was das „Frölein“ in der Folge natürlich dazu zwingt, wieder aufgerichtet das Mieder energisch zurecht zu rücken… (Schlagzeug steht übrigens keines auf der Bühne; das „Frölein“ erzeugt die notwendigen Rhythmen als eine Art Beatboxerin selber.)
Als Instrumentalistin bestenfalls Mittelklasse, habe ich gesagt. Das stimmt auch. Aber, was mich wirklich beinahe vom unbequemen Theaterstuhl gehauen hat, ist die Stimme des „Frölein“. Hier ist der Welt eine grosse Blues-Stimme verloren gegangen – eine Rock-Röhre, wie man so schön sagt. Vor allem im letzten Stück ihrer Zugabe macht das „Frölein“ dies klar, wo sie für einmal nichts Eigenes intoniert, sondern Kris Kristoffersons Me and Bobby McGee – eine Interpretation, bei der man für Sekunden Janis Joplin zu hören meint. (Um ehrlich zu sein: Es reicht dann nicht ganz, aber das „Frölein“ hat genug Volumen und stimmliche Wucht, um den Zuhörer bedauern zu lassen, dass sie sich nicht ganz dieser Sparte verschrieben hat.)
Ein gelungener Abend mit dem neuen Programm – eben dem neuen Zeugs, wie es das „Frölein“ im typisch provinziellen Schweizer Hochdeutsch genannt hat. Eine empfehlenswerte Show, auch wenn man wohl Schweizer sein muss, oder lange genug in der Schweiz gelebt haben muss, um die Finessen so ganz goûtieren zu können.