Darstellungen des Bösen, ja verehrende Darstellungen des Bösen, kamen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in der französischen Literatur, beim Übergang vom Naturalismus zum Symbolismus, in Mode. Bekanntestes Beispiel ist Baudelaire mit seinen Fleurs du mal (1857), auch Lautréamonts Les chants de Maldoror (1874) dürfen nicht vergessen werden. Beide könnte Joris-Karl Huysmans gekannt haben, als er 1890 Là-bas verfasste. (Der Ahnherr aller positiven Darstellung des Bösen ist aber wohl John Milton, dessen Satan in Paradise Lost (1667) bedeutend interessanter und faszinierender ist, als alle andern Personen zusammengenommen, weshalb man denn auch Milton eine gewisse Sympathie für seinen Satan nachsagt. Auch William Blakes Auseinandersetzung mit dem Bösen könnte Huysmans gekannt haben. De Sade kannte er wohl nicht.)
Huysmans‘ Werk ist allerdings ein wenig anders gelagert, als die gerade aufgeführten. Während Miltons wunderhübsch geratener Satan wohl auch dem Umstand zu verdanken ist, dass das oder der Böse (oder zumindest eine Mischgestalt aus Gut und Böse) immer einfacher, praller, lebendiger zu gestalten ist, als das oder der Gute, und Baudelaire und Lautréamont die ästhetische Faszination des Bösen, die sich dahinter verbirgt, sondiert haben, will Huysmans etwas viel Platteres: vor einem angeblich existierenden und an Schwung gewinnenden Satanismus in der katholischen Kirche warnen.
Zunächst ist festzuhalten, dass Huysmans ja nicht das oder den Bösen darstellt, sondern mit dem Satanismus eine angeblich existierende … nun ja … soll man sagen: Sekte? …, die in gewissen Ritualen an der Stelle des guten Gottes einen bösen verehrt. Das grenzt an den Manichäismus, was auch den Figuren Huysmans‘ bewusst ist, stellt aber im Grunde genommen erst einmal nur eine Pervertierung des (katholisch-)christlichen Glaubens dar, der katholischen Liturgie, der katholischen Rituale. Mit andern Worten: eine kindische Form, seine Abkehrung vom katholischen Glauben zu demonstrieren.
Wenn – ja wenn es denn diesen Satanismus tatsächlich in der von Huysmans dargestellten Form gegeben hätte. Der Autor selber war davon überzeugt, dass innerhalb der katholischen Kirche, vor allem in Rom und in Paris, Satanisten am Werk seien – meist Priester oder ehemalige Priester eben dieser Kirche. Dass dieser Form von Rebellion dann Rosenkreuzer beigemischt werden, darf nicht verwundern: Rosenkreuzern und oft auch Freimaurern wurde gerne nachgesagt, dass sie sich über die christliche Kirche in Form von pervertierend-karikierenden Konter-Ritualen lustig machten. Vor dieser starken Unterströmung im Katholizismus, von deren Existenz Huysmans überzeugt war, wollte er, der er nur kurze Zeit nach Veröffentlichung von Là-bas als Laienbruder in ein Kloster eintrat, warnen. (Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die nach Huysmans hin und wieder auftauchenden ‚echten‘ Satanisten die Konter-Rituale, die sie verwendeten, aus Là-bas stibitzten, weil sie aus früheren Epochen nichts fanden. Huysmans der Warner wurde so wider Willen zu Huysmans dem Stifter satanistischer Sekten und ihrer Rituale.)
Der Text selber weist eine Doppelstruktur auf. Hauptfigur ist der Schriftsteller Des Hermies, der auch gleich eingeführt wird, wie er mit seinem Freund Durtal eine poetologische Diskussion über die richtige Darstellung historischer Ereignisse führt, dabei die Naturalisten (die beiden Goncourts, Zola, Flaubert und Balzac werden namentlich erwähnt und gelobt – Stendhal wird ebenfalls erwähnt, dort bin ich mir aber nicht sicher, welche Haltung Des Hermies (und hinter ihm Huysmans) einnimmt, was der Übersetzung geschuldet sein kann; der Satzbau ist da ein wenig merkwürdig) als seine Leitsterne deklariert. Des Hermies schreibt an einer Biografie des Gilles de Rais, jenes Adligen, der zur Zeit der Jeanne d’Arc diese in ihren Kreuzzügen unterstützte, später aber vor allem als Massenmörder in die Geschichte eingegangen ist, der Dutzende, wenn nicht Hunderte von Kindern seiner Untertanen in sexuell konnotierten Abschlachtungen tötete. Des Hermies scheint satanistische Rituale dahinter zu vermuten; so ganz klar wird es ihm und dem Leser aber nicht. Immer wieder wird der Verlauf der Geschichte, die ansonsten im Paris zur Zeit von Huysmans spielt, unterbrochen, indem dem Leser Ausschnitte aus Des Hermies‘ Biografie mitgeteilt werden. Diese Ausschnitte beziehen sich lose auf den Verlauf von Des Hermies‘ Abenteuern. Der nämlich verfällt in Diskussionen immer mehr der Faszination des vermeintlich existierenden Satanismus seiner Zeit. Schliesslich findet er eine zeitweilige Geliebte, die an satanistischen Ritualen teilnimmt und bereit ist, ihn mitzunehmen. Des Hermies bleibt dann allerdings so vernünftig, davon nur gelangweilt, ja abgestossen zu sein.
So geschieht wenig, und der Leser wird etwas unbefriedigt wieder entlassen. Als Warnung – selbst wenn der Satanismus existiert hätte – hätte das Buch wohl kaum dienen können. Huysmans entpuppt sich einmal mehr als Autor, den gelesen zu haben man zwar nicht unbedingt bereut, den zu lesen man aber auch nicht unbedingt empfiehlt.
Joris-Karl Huysmans: Die Schule der Satanisten. Vollständige Neuübersetzung von Caroline Vollmann. Leipzig: Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, 2018