Ein Capriccio, ein Produkt der Laune – so nennt Christoph Martin Wieland sein Werk. Dennoch lässt er keine Zweifel offen an der Seriosität, mit der er daran gearbeitet hat, daran, wie viele und welche Gedanken er sich gemacht hat. Vor allem der sprachliche Aspekt ist ihm wichtig. Wieland erklärt in Anmerkungen zu jedem Gesang, welche Änderungen er im Vergleich zur Erstausgabe durchgeführt hat, oft erklärt er auch noch, warum er geändert hat.
Am wichtigsten aber ist ihm eindeutig dies: Es handelt sich beim Neuen Amadis um eine Verserzählung, und so erklärt uns der Autor im Vorbericht zur gegenwärtigen Ausgabe (gemeint ist die Wiederveröffentlichung des Neuen Amadis im Rahmen der Werkausgabe von 1794ff.) sehr genau, welches Versmass er verwendet hat, warum er es verwendet hat, ja sogar, welche Freiheit er sich dabei hin und wieder genommen hat. Was so leicht und flüssig daherkommt, den Eindruck von locker aus dem Ärmel geschüttelten Zeilen hat, ist also wohldurchdachte sprachliche Komposition. Entsprechend hoch ist auch der Genuss des Lesers. Wieland empfiehlt, nicht zu deklamieren, sondern einen natürlichen Sprachduktus beizubehalten – und er hat Recht: Das ist durchaus möglich und stimmig.
Für einmal nimmt Wieland sein Thema nicht aus der Antike und nicht aus dem Orient. Inhaltlich ist die Geschichte des Neuen Amadis an die Ritterpistolen des 16. und 17. Jahrhunderts angelehnt. Da wird kreuz und quer geliebt und gekämpft, zauberkräftige Mohren mischen sich ein – ein Tohuwabohu an Ereignissen. (Ich habe, um ehrlich zu sein, zwischendurch auch schon mal den Überblick verloren.) Ritter und Fräuleins tauchen auf und verschwinden wieder; der Autor verlässt einen Helden auch schon mal über ein paar Gesänge hinweg, lässt ihn ohnmächtig am Boden liegen oder mit hocherhobenem Schwert dem Widersacher drohen – nicht ohne dieses Faktum auch noch genüsslich zu kommentieren. Wieland nimmt weder die Geschichte, noch sich, noch die Protaginisten ernst. Auch ausserhalb der Geschichte findet er Zielscheiben für seinen Witz, vor allem literarische. Er macht sich über die alten Ritterschmonzetten ebenso lustig wie über das Schmachtgehabe der neuen Anakreontiker vom Göttinger Hainbund. Letzten Endes, so Wielands Botschaft, regiert den Mann nicht sein erhabenes und dem Ideal einer platonischen Liebe frönendes Hirn – sondern ganz einfach ein ein bisschen exponierterer Busen, eine ein bisschen exponiertere Wade. Und auch der weibliche Teil der Menschheit ist nicht frei von Gelüsten solcher Art.
Im Hintergrund steht auch bei Wieland das klassisch-aristotelische gesunde Mittelmass. Weder reines Hirnwesen, noch triebgesteuertes Monster soll der Mensch sein. Und so kann zum Schluss der zauberische Mohrenkönig die fünf Prinzessinnen mit mehr oder weniger Gewalt alle verkuppeln und das Personal der Geschichte, sich inbegriffen, vor den Traualtar schleifen.
Es ist keine Geschichte, über die man tagelang brüten muss. Ähnlich wie gewisse Werke Mozarts atmet sie aber eine Leichtigkeit, die trügt. Denn – wie gesagt – wohl komponiert ist das Ganze. Und ein Lesevergnügen allemal.
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