Baruch de Spinozas Ethica, ordine geometrico demonstrata erschien 1677, im Todesjahr des Autors, aber postum. Es handelt sich hier um Spinozas Hauptwerk, und der Titel ist irreführend. Denn die Ethik macht nur einen Teil aus, einen kleinen sogar. Tatsächlich umfasst Spinozas Ethik mindestens so viel Erkenntnistheorie oder Religionsphilosophie. Denn auch wenn sich die Philosophie mit Spinoza definitiv von der Scholastik löste: Ausgangspunkt war bei Spinoza immer noch die scholastische Frage nach der Existenz Gottes bzw. dem Beweis derselben.
Der ordo geometricus, nach dem alles dargestellt wird, weist auf die rationalistische Grundhaltung des Werks hin. Spinoza versucht, alle seine Sätze und Erkenntnisse logisch aus Vorgängersätzen zu beweisen und so durch reines Denken die Welt zu erfassen. Dass ihm dabei unhinterfragte Grundannahmen unterlaufen, ist natürlich. Gott, mit dem die Ethik anfängt, wird definiert als eine Substanz. Da eine Substanz (und das ist neu bei Spinoza!) keine Ursache haben kann, sondern nur selbst ihre Ursache sein kann, ist Gott eine Substanz und existiert. Spinoza stützt sich also mehr oder weniger auf den ontologischen Gottesbeweis, den auch die Scholastik kannte. Doch dann löst sich Spinoza von seinen Vorgängern. Denn diese Substanz umfasst alles – auch das Universum. Das heisst, um genau zu sein, muss man sagen: Diese Substanz und das Universum sind ein und dasselbe – Deus sive natura. Gott oder die Natur. Wundert es, dass Spinoza aus der jüdischen Gemeinde von Amsterdam ausgeschlossen wurde? Dass auch noch Jahrhunderte später christliche Theologen Spinozas Lehre als „atheistisch“ verdammen, weil sie eine Vernatürlichung Gottes dahinter wittern? Dass andererseits ein derart in die Natur und ihre Beobachtung vernarrter Mensch wie Johann Wolfgang von Goethe seine Einstellung in dieser Vergöttlichung der Natur wiederfand?
Seit ungefähr Lessing wird Spinozas Philosophie meist als „Pantheismus“ bezeichnet. Gott ist alles, alles ist Gott. Das ist nicht ganz korrekt, weil die In-Eins-Setzung nur für die Substanz gilt. Die Attribute aber, die auch Gott ausmachen, können stärker oder schwächer vertreten sein. So ist z.B. der Mensch durchaus nicht = Gott. Es sind Teile der Attribute von Gott im Menschen, so wie in jedem Ding. Und es ist bei Spinoza durchaus so, dass diese Teilhaftigkeit grösser oder kleiner sein kann, ein Ding bzw. ein Mensch also Gott näher oder ferner ist.
Die Definition von Gott als „Substanz“ und von Geist und Materie als deren „Attribute“ erledigt für Spinoza auch das Cartesische Problem der Interaktion von Geist und Materie. Als Attribute ein und derselben Substanz können Geist und Materie nicht unterschiedliche Ziele verfolgen oder divergierende Zwecke haben. Ideenwelt und Körperwelt laufen notwendig parallel. Damit ist für Spinoza auch jedwede Willensfreiheit ausgeschlossen: In der Körperwelt gibt es keine Wirkung ohne zwingende Ursache (hier streift Spinoza tatsächlich den Materialismus) – in der Ideenwelt gibt es keinen Geistesentschluss ohne zwingendes Motiv. (Die Konsequenz daraus: Spinozas Gott ist nicht nur unpersönlich und sowohl Materie wie Geist: Er verfügt auch nicht über einen freien Willen. So musste er z.B. die Welt schaffen. A fortiori verfügt auch der Mensch über keinen freien Willen.)
In der eigentlichen Ethik führt diese erkenntnistheoretische bzw. religiöse Einstellung zu einer Haltung, die stark der der Stoa gleicht. Das Gute ist die Erhaltung des Lebens und nicht eine welttranszendente Idee. Auch hier streift Spinoza eine materialistische, darwinistische Einstellung. Natürlich ist es dann nicht so einfach, wie es sich auf den ersten Blick darstellt. So fordert Spinoza durchaus eine Kontrolle unserer Affekte, weil die oft nur prima facie zur Erhaltung unserers Lebens beitragen, im Grunde genommen uns aber Schaden zufügen. Kein Ausleben des Lustprinzips also.
Spinoza macht es einem nicht leicht, in sein Werk einzudringen. Der ordo geometrico raubt dem Leser oft die Lust, weiterzufahren. Beweise durch einen seinen eigenen Beweis aus einem Drittsatz herholenden Zweitsatz ermüden mehr, als dass sie begeistern. Dann aber findet sich wieder ein kleiner Satz, der auch heute noch revolutionär anmutet und einen für die oft mühselige Lektüre belohnt.
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