Werke. Darmstädter Ausgabe. Band VI. Herausgegeben und kommentiert von Hanno Beck. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 22008.
Band VI ist der vielleicht schlechteste Band dieser als Studienausgabe deklarierten Humboldt-Ausgabe. Natürlich müsste man wissen, welches Zielpublikum Hanno Beck genau im Auge hatte bei der Zusammenstellung der einzelnen Texte. Aber nirgends zeigt sich die Schwäche der Darmstädter Ausgabe so gut wie in Band VI.
Denn um sich den modernen Gepflogenheiten anzupassen, ist Hanno Beck gezwungen, auseinander zu reissen, was für Alexander von Humboldt (hierin ein echter Schüler Goethes) zusammen gehörte. Unter dem Titel der physikalischen Geographie versammelt Beck Schriften zu den Themen Geomorphographie, Geomagnetismus, Geoklimatologie, Hydrographie und welche zur Geografie der Pflanzen, Tiere und Menschen. Wenn Alexander von Humboldt seine Schriften ähnlich eingeteilt hätte, d.h., Monografien nur zum Geomagnetismus (als Beispiel) verfasst hätte, hätte Beck das nicht tun müssen, was er in Band VI nun tatsächlich tat: Er nimmt Ausschnitte aus grösseren Werken Humboldts und stellt sie hier ein. So finden wir Teile aus Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent, die Beck dort weggelassen hat; dito aus dem Mexico-Werk; und – nur hier! – auch Auszüge aus Zentralasien, dem Bericht Humboldts von seiner letzten Reise in die Tiefen Sibiriens.
Damit könnte ich mich im Grunde genommen noch abfinden, wenn nicht Beck selber in seinen Anmerkungen nicht müde würde, immer wieder zu betonen, wie wichtig das Ganze für Humboldt gewesen sei, wie sehr er Wert auf eine ganzheitliche Betrachtung gelegt habe. Band VI konterkariert Becks eigene Aussagen.
Nicht, dass Humboldt zu den einzelnen Themen nichts zu sagen gehabt hätte. Vor allem in der Klimatologie leistete er Pionierarbeit und war z.B. einer der ersten, die sich genauer mit den Isothermen auseinander gesetzt hatten. Er hat ganz klar anhand gesammelter Daten demonstrieren können, das der bisherige Glaube daran, dass sich die Wärme gegen den Äquator ständig steigere, falsch war. Ja, wenn es nicht Erde und Wasser geben würde, grosse Strömungen in den Ozeanen und hohe Berge auf den Kontinenten! Humboldt hat den später nach ihm benannten Strom im Pazifik genau studiert, vor allem seinen Einfluss auf das Klima der Westküste Südamerikas. Ebenso hat er die Grenze des ewigen Schnees in verschiedenen Gebirgen festzulegen versucht. Dabei griff er für die Daten des Himalaya auf Messungen anderer Forscher zurück, vor allem von Engländern (die heute in der eigenen Heimat vergessen sind!). Eine eigene grosse Reise dorthin konnte Humboldt bekanntlich nicht mehr verwirklichen – die vom Zaren gesponsorte und unter scharfer russischer Aufsicht stehende Reise ins Innere Russlands war da nur ein schwacher Ersatz.
Auch Mikro-Klimatologie war Humboldt nicht fremd. Die Temparaturunterschiede, die in einem Wald herrschen zwischen dem Boden und dem Bereich unmittelbar über den Baumwipfeln interessierten ihn sehr – er mass und suchte Erklärungen. Selbst der Einfluss des Menschen auf das Klima war ihm nicht unbekannt – und schon er warnte vor einem durch menschlichen Unverstand herbeigeführten Klimawandel. (Ansonsten ist die Band VI abschliessende Geographie des Menschen eine Mogelpackung: Hanno Beck wiederholt hier bereits abgedruckte Teile des Mexico-Werks, die er aber kürzt und den ausgelassenen Text referiert. Beck wird ganz offensichtlich Opfer seines eigenen Anspruchs, seiner eigenen Aussagen. Er, der in seinen Anmerkungen nicht müde wird, die Wichtigkeit des Menschen für Humboldts Geografie zu betonen, findet im Werk nur diesen einen Teil, wo Humboldt tatsächlich in extenso über den Menschen und die Umwelt referiert.)
An der Stelle dieses verunglückten Misch-Masch-Bandes wäre mir ein grösserer Auszug aus Zentralasien wichtiger erschienen. Nicht jeder hat, wie ich, die grosse, dicke und schwere einbändige Ausgabe des Fischer-Verlags von 2009 zu Hause. Aber ich bin kein Student der Geschichte der Geografie, für den diese Studienausgabe wohl primär gedacht war.
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