Ludwig Hohl: Bergfahrt

Für Juan S. Guse. *

Hohls Bergfahrt war zum Zeitpunkt seines Erscheinens ein literarisches Grossereignis – obwohl die Erzählung in meiner kleinen Ausgabe keine 100 Seiten umfasst. Über 30 Jahre später ist die Frage erlaubt, was denn nun davon (bzw. von der Begeisterung, die mich kleinen Literaturstudenten damals erfasst hatte) geblieben ist.

Bei Bergfahrt handelt es sich um eine Parabel. Das merkt man, selbst wenn man nicht bei Wikipedia nachliest, schon nach den ersten paar Zeilen. Hohl trägt das Lehrhafte ostentativ vor sich her. Das tut dem Text als Ganzes nicht gut, das tut vor allem Hohls Stil nicht gut:

Das tief in hohes Gebirge eingeschnittene flache Tal hat die Apotheose seiner Fruchtbarkeit erreicht; da und dort ist schon eine Wiese gemäht worden, während die andern des Schnitters warten, ein manigfaltiges Meer des ragenden Grünen. Wie viele wissen, was für eine Magie an einem sehr frühen Morgen dieser Jahreszeit und bei vollkommen gutem Wetter ein fruchtbares Gebirgstal entfalten kann; eine Magie, die zugleich ein Mächtiges und ein unsäglich Zartes, Ahnungsvolles enthält? Die Mächtigkeit beruht auf dem Reichtum des Grünen, der Gewaltigkeit der Berge, dem Licht des Himmels […] (S. 7f)

Das ist pompös, das ist vor allem – Kitsch.

Später wird dann Ludwig Hohl dem Kitsch noch Oberlehrerhaftes beigesellen. Ich verstehe nichts von Alpinistik; aber ich verstehe, wenn ein Autor in belehrendem Ton Weisheiten zum Bersteigertum absondert. Und das tut Hohl zu Hauf.

Bei Bergfahrt handelt es sich um eine Parabel. Das merkt man, selbst wenn man nicht bei Wikipedia nachliest, schon nach den ersten paar Zeilen. Zwei Bergsteiger, die unterschiedlicher nicht sein könnten, machen sich auf dem Weg zum Gipfel. Der eine, Johann, resigniert und kehrt um, der andere, Ull, geht weiter. Der eine geht auf dem Weg zum Gipfel zu Grunde, der andere auf dem Weg zurück ins Tal. Hach, was lässt sich das schön interpretieren! Und, falls es der Leser nicht von selber gemerkt haben sollte, wird er vom Autor netterweise auch darauf gestossen:

Und diese Raschheit [Hohl spricht hier von Johanns Tod, der in einen Bergbach fällt] muß auffallen. Ihres Gegensatzes wegen zu dem Verlauf seines Lebens, in welchem sich doch fast alles mit schwermütiger Langsamkeit abgespielt hatte. – Und das Ende von Ull, das, spätestens vom Verlust des Pickels an gerechnet, an die vierundzwanzig Stunden dauerte; oder, wenn man die Nachstunden auf der Kanzel in den eisstarrenden Felsen zehnfach zählt (da ja Zeit verschieden lang ist), über hundert Stunden: stand es nicht in ebenso großem Gegensatz zu seiner Natur, seinem allgemeinen Verhalten? So hatten die beiden gleichsam ihre Rollen vertauscht in ihrem Sterben; und die vielleicht unsinnige Frage taucht auf, ob nicht, wenigstens in kleinem Maße, dasselbe hätte geschehen können – im Leben? (S. 96f)

Die erneute Lektüre der Bergfahrt hat mir klar gezeigt, warum Bergfahrt damals zu den Lieblingen des Literaturkritikers und des Literaturstudenten gehören musste: Man konnte, da vom Autor ständig mit der Nase darauf gestossen, die hohe Bedeutsamkeit des Textes gar nicht ignorieren. Und man kriegte von eben diesem Autor gleich eine Interpretationsanleitung mitgeliefert. IKEA für Intellektuelle, sozusagen.


* Juan S. Guse soll sich anlässlich eines Podiumsgesprächs an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse zum Thema ‚Literaturblog‘ geäussert haben. Er hat sich nämlich

[…] in Vorbereitung auf das Panel extra ein paar Blogs angeschaut. Er war enttäuscht, sagt er, dass da meist genau die gleichen Bücher besprochen werden wie im Feuilleton auch. Man könnte doch da ganz anderes machen, etwa vergessene Klassiker wiederbeleben, Ludwig Hohl oder so.

Nun gebe ich zu, dass ich, bevor ich auf den FAZ-Artikel aufmerksam gemacht worden bin, den Namen Juan S. Guse noch nie gehört habe. Aber das beweist nur, dass ich die aktuell von Feuilleton besprochenen Autoren so wenig kenne, wie diese Autoren ihrerseits offenbar Literaturblogs, die sich nicht oder wenig ums Feuilleton kümmern. Ich weiss auch nicht, wie Guse genau den Begriff ‚Klassiker‘ definiert. Das Beispiel Ludwig Hohl impliziert, dass ‚vergessener Klassiker‘ bedeutet: ‚Wurde mal vom Feuilleton gehätschelt. Ist dann gestorben. Wurde deshalb vom Feuilleton sofort vergessen. Sollte aber nicht vergessen gehen, weil sonst mir nach meinem Tod dasselbe Schicksal droht.‘

Ich habe, falls das jemand interessiert (Blogger haben ja offenbar immer autobiografische Fakten in ihre Beiträge einzuweben), Hohl schon gelesen, da lebte Guse noch gar nicht. Meine Ausgabe von Bergfahrt ist die 1. Auflage 1978 der Nummer 624 der Bibliothek Suhrkamp – und ist der einzige Text von Hohl in meiner Bibliothek.

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