Eberhard Fromm: Schopenhauer. Vordenker des Pessimismus

Schopenhauer ist der einzige aus dem Kreis der deutschen Idealisten, den ich gelesen habe und bei dem ich mir nicht völlig sicher bin (wie bei Fichte, Schelling, Hegel und Konsorten), dass eine Beschäftigung mit ihm verlorene Zeit ist. Was möglicherweise auch eine sentimentale Reminiszenz ist, war er doch einer der allerersten Philosophen überhaupt, die ich gelesen habe.

Fromm stellt hier den Philosophen des Pessimismus als einen Denker vor, dessen statisches Weltbild keine Impulse für Veränderungen beinhaltet, der Fortschritt für eine Illusion hält und das Leben an sich für eine Last, mit der man sich irgendwie arrangieren muss. Tatsächlich taugt Schopenhauer nicht als Revolutionär: Sein an Platon geschulter Idealismus lässt keinen Raum für Entwicklung, wir streben (etwa in der Kunst) den ewigen Ideen nach, suchen diese zu erkennen und mitzuteilen. Dazu kommt Schopenhauers Affinität zur indischen Philosophie, sein Wille strebt ebenso nach Erlösung wie es denn der Buddhismus für seine Gläubigen mit dem Nirvana vorsieht: Das Leben ein Jammertal, die Sehnsucht nach der absoluten Auflösung, eine Sehnsucht, die für das Diesseits einzig negative Konnotationen übrig hat, denn auch die Freude, die Lust sind nur Hindernisse auf diesem Weg.

Die Ähnlichkeit mit Schopenhauers ewig tätigem Willen ist offenkundig – und ebenso offenkundig ist, dass eine solche Philosophie zur Passivität führt, zu einem Hinnehmen, Erdulden, irgendwie Ertragen, nicht aber zur Aktivität und Entfaltung des Einzelnen: Solche Aktivität ist schon des ewig gleichen Kreislaufes wegen nichtig. Die Geschichte führt die verschiedenen Varianten dieses ewig Gleichen vor, bleibend ist das Leiden, der Schmerz, die Qual, die sich einzig in der künstlerischen Schau der (platonischen) Ideen erträglich gestaltet.

Fromm betrachtet diese Form des Denkens skeptisch: Ist er doch ein ostdeutscher Philosophiehistoriker, der eine Professur am Lehrstuhl für marxistisch-leninistische Philosophie innehatte (eine Stellung, die er nach Auflösung dieses Instituts nach 1989 verlor). Diese seine Herkunft macht das Lesen der Monographie manchmal ein wenig mühsam, die unsägliche Klassenkampfterminologie bricht immer wieder durch, Beurteilungen erfolgen auf dem Hintergrund des dialektischen Materialismus (und sind damit ebenso obsolet wie das System Schopenhauers) und man glaubt manchmal die näselnde Stimme des Staatsratvorsitzenden in seinem Konfirmandenanzug zu hören, wenn die kapitalistischen Strukturen, die Bourgeoisie oder der Klassenkampf bemüht werden. Oder aber Fromm beleuchtet Schopenhauers prekäres Verhältnis zu Hegel, bedauert, dass er dessen Logik ignoriert habe (und wenn Schopenhauer auch ein teilweise ignoranter, rückwärtsgewandter Denker war: Hier hatte er Recht – und die Bedeutung der Hegelschen Logik für diese Disziplin ist in ihrer Bedeutung vergleichbar mit der „Frommen Helene“ von Wilhelm Busch: Alle modernen Logiken (und ich habe mir in meiner Bibliothek der Mühe des Nachkontrollierens unterzogen) erwähnen Hegel – zu Recht – mit keinem Wort).

Die Bedeutung Schopenhauers für die Gegenwart scheint eher bescheiden: Die Postmoderne hat seinem Pessimismus, seiner Ablehnung des Fortschrittsgedanken gehuldigt, seine elitär-misanthropische Grundhaltung mag einiges Anziehende für den sich von der ganzen Welt missverstanden fühlenden Heranwachsenden haben. Das System von Wille und Vorstellung, von einem Ding an sich, das sich in diesem Willen bekundet, ist obsolet, leidet, wie alle Systeme, unter anderem daran, dass in einfältiger Weise geglaubt wird, die Philosophie zu einem Abschluss führen zu können, ein Abschluss, der stets mit dem betreffenden Denker erreicht ist. (Ähnlich ist es auch mit den Weltuntergangspropheten, die auch glauben, am – nun endlich aber ganz entscheidenden – Wendepunkt der Geschichte zu leben, nicht bedenkend, dass die Geschichte sie einfach ignoriert und – in welcher Form auch immer – fortschreitet.) Einfältig ist dies eben durch die selbstherrliche Attitüde, die alle Philosophiegeschichte mit der eigenen Person als zu einem Ende gekommen betrachtet.

Das Buch schafft es trotz des bescheidenen Umfangs einen Überblick über Schopenhauers Denken zu geben, es ist aber in seiner marxistisch-leninistischen Diktion ebenso anachronistisch wie der behandelte Denker. Aber als philosophiehistorische Einführung durchaus akzeptabel. Ob ich selbst mich in diesem meinem Leben noch einmal den Schriften Schopenhauers widme, bezweifle ich: Wenn doch, dann aus philosophiehistorischem Interesse.


Eberhard Fromm: Schopenhauer. Vordenker des Pessimismus. Berlin: Dietz 1991.

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