Abū Naṣr Muḥammad al-Fārābī (arab.: ابو نصر محمد الفارابي): ca. 870-950. Erster grosser Aristoteles-Kommentator der arabischen Scholastik, so dass man ihn dort den „Zweiten Lehrer“ (nämlich nach dem ersten = Aristoteles) nannte.
2005 erschien bei Meiner eine deutsche Übersetzung dieses arabischen Textes. Dass ein lateinischer Untertitel dabei steht, ist in diesem Zusammenhang kein Wunder – es wurde nämlich nach der lateinischen Übersetzung des arabischen Originals übersetzt. Das liegt nun nicht daran, dass der Übersetzer kein Arabisch konnte, wie das v.a. im 17. – 19. Jahrhundert so oft der Fall war, wo arabische Texte nicht aus dem Original sondern aus einer bereits existierenden Übersetzung in eine andere Sprache übersetzt wurden.
Hier ist es eine rezeptionsgeschichtliche Entscheidung gewesen. Al-Farabis „De scientiis“ ist eine an Aristoteles orientierte Zusammenstellung der Wissenschaftsgebiete, die es so gab. Interessant an dieser Zusammenstellung ist al-Farabis Versuch, die bereits existierende islamische Wissen(schaft)stradition mit der nun neu importierten griechischen zu vereinen. Das gelingt nicht immer – so erscheint die Musik sowohl an der (arabischen) Posiition als Teil der Poesie, wie an der griechischen, die sie der Mathematik zuordnete. Die Grammatik (des Arabischen) war den arabischen Schulen jener Zeit auch wichtiger als und wurde unterschieden von Logik und Rhetorik. Schliesslich ist al-Farabi auch die Unterscheidung zwischen Metaphysik (griechisch) und Theologie (des Islam) nicht besonders geglückt, was auch daran liegen mag, dass die Theologie im westlichen Sinne im Islam ein untergeordnete Rolle spielte, indem es dort die Rechtswissenschaft war, die den Islam auslegte. (Die so berühmte arabische Medizin fehlt? Richtig! Denn als Heilkunde, die mit den individuellen Gegebenheiten eines individuellen Patienten zu tun hatte, war sie Handwerk und keine Wissenschaft.)
Gerade weil er scheitert, ist al-Farabi aber lesenswert, denn so vermag er den „culture clash“ aufzuzeigen, der schon im 9. Jahrhundert zwischen Christentum/westlichem Denken und arabisch-islamischem Denken existierte. Der mittelalterliche christliche Übersetzer ins Latein, Gerhard von Cremona, hielt sich fast wörtlich ans arabische Original, so wörtlich, dass wir beinahe eine Interlinearübersetzung vor uns haben. Gerhard von Cremona hat sich jeden Eingriffs ins Original enthalten und so den Zwiespalt des muslimischen Denkers schön hervorgehoben.
Leider, muss man wohl aus der Sicht des 21. Jahrhunderts sagen, sind sowohl al-Farabi wie Gerhard von Cremona gescheitert mit ihrem Versuch, arabisch-muslimisches und christlich-westliches Denken … ich will nicht einmal sagen: miteinander auszusöhnen, aber wenigstens: einander bekannt zu machen. Al-Farabi gilt m.W. im arabischen Raum v.a. als Musiktheoretiker und zwar erster Vermittler des Aristoteles, aber dessen Vollendung war der arabischen Philosophie vorbehalten; während im Westen Avicenna und Averroes bedeutend bekannter waren, bevor dann die arabische Philosophie von den Renaissance-Denkern völlig marginalisiert wurde.