Baruch de Spinoza: Tractatus theologico-politicus

Trotz des in unseren heutigen Ohren pompös und ‘schwierig’ klingenden Titels ist der 1670 entstandene Tractatus theologico-politicus des niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza leichter zugänglich als seine Ethica, ordine geometrico demonstrata, die sieben Jahre jünger ist und erst postum veröffentlicht wurde. (Der Tractatus theologico-politicus hatte ihm Ärger genug eingebracht.) Dass er einfacher ist, liegt vor allem daran, dass sein Ziel bescheidener ist. Es ist nicht der Versuch, Ethik, Metaphysik und Anthropologie in einem Guss darzustellen, aus einem Prinzip herzuleiten – und das dann auch noch in strikt wissenschaftlicher Weise (das nämlich verstand man damals unter more geometrico – Vorbild waren hier die entsprechenden Abhandlungen des René Descartes.)

Die Bescheidenheit des Ziels gilt es allerdings auch gleich wieder zu relativieren. Die Ethik war anspruchsvoll auf Grund der Abstraktheit von Inhalt und Methode. Der Tractatus theologico-politicus ist weniger abstrakt, dafür in seinen praktischen Konsequenzen bzw. Forderungen viel anspruchsvoller. So anspruchsvoll in der Tat war der Text, dass das Buch in den Niederlanden relativ rasch verboten wurde. Worum geht es nun?

Das Buch besteht, wie es schon der Titel andeutet, aus zwei Teilen, die allerdings nur lose miteinander verbunden sind.

Da ist der theologische Teil, der eigentlich ein philologischer genannt werden müsste. An Hand von genauer Lektüre verschiedener Bibeltexte (vor allem des Pentateuch und der Bücher der Richter im Alten, der vier Evangelien und der Apostel-Briefe im Neuen Testament) arbeitet Spinoza heraus, dass nur weniges in der Bibel wirklich unmittelbar Wort Gottes ist und somit unumstößliches Gesetz. Das meiste, so Spinoza, war von der Person, die das Wort Gottes niederschrieb, so aufgeschrieben worden, wie es eben der Auffassungsgabe der Zuhörerschaft bzw. Leserschaft angemessen war. Oder es zeigten sich auch die eigenen Beschränkungen der Schreiber, indem sie Dinge nur so referieren konnten, wie sie es verstanden. Ersteres gilt für viele in der Bibel überlieferte göttliche Gebote (inklusive dem Dekalog!); letzteres zum Beispiel für Erzählungen davon, wie Gott die Sonne angehalten habe, um den Juden einen Sieg in einer Schlacht zu geben. Spinoza, der die Meinung vertritt, Gott wirke keine Wunder, denn seine Schöpfung sei vollendet und benötige solches nicht, findet hinter solchen Phänomenen eine naturwissenschaftliche Erklärung. Aus Hinweisen im Text des Pentateuch findet der Philologe Spinoza auch heraus, dass die fünf Bücher, die den Namen Mose tragen, in ihrer Gesamtheit nicht alle von Moses stammen können, weil Ereignisse oder Dinge erwähnt werden, die sich erst zugetragen haben, als Moses gemäß dem Pentateuch schon lange tot war. Spinoza hütet sich, der Schrift deswegen jedwede Göttlichkeit oder auch nur praktischen religiösen Nutzen abzusprechen. Aber er sieht in ihr auch nicht einen rigiden Kanon, der ein für alle Mal festgesetzt und nun für alle Generationen gültig ist.

Der zweite Teil ist staatsphilosophischer Natur. Dieser zweite Teil steht mit dem ersten nur in lockerer Verbindung, insofern als das Resultat der hier durchgeführten Untersuchungen (auch) die Rechtfertigung liefert dafür, warum der Philosoph einen solchen Text wie den ersten Teil nicht nur schreibt, sondern vor allem auch veröffentlicht. (Die staatlichen Autoritäten seiner Zeit sind ihm hierin nicht gefolgt.) Anders als der ein paar Mal von ihm angeführte Hobbes geht Spinoza davon aus, dass es kein ‘natürliches Recht’ gibt. Im vertragslosen Naturzustand (den zum Beispiel die Juden inne hatten, als sie aus der Rechtsordnung der Ägypter flohen und in der Wüste umher wanderten) kann jede Person festsetzen, was für sie Recht ist. ‘Recht’ ist im ‘Naturzustand’ gleichbedeutend mit ‘Macht’. Erst als die Juden die Macht, Gesetze zu erlassen, explizit an Gott übertragen hatten, befanden sie sich, so Spinoza, wieder in einem vertraglichen Zustand, einem Staat. Selbst in einem Staat aber – und hier wird Spinoza ganz zum Schluss des Tractatus für gewisse Leute ‘staatsgefährdend’ – sind zwei Dinge essentiell: Zum einen hält Spinoza die Trennung von Religion (Kirche) und Staat für notwendig und vernünftig; zum anderen sollen die Einzelnen das natürliche Recht zur freien Meinungsäußerung auch im Staat nicht verlieren (dürfen). Ein Recht auf eigentlichen Aufruhr oder Revolution verneint der Philosoph. (Anders übrigens als Kant im Streit der Fakultäten schränkt Spinoza dieses Recht auf freie Meinungsäußerung nicht nur auf den Fachmann ein. Im Prinzip gilt es für jeden. Ob auch Frauen inbegriffen waren, vermag ich allerdings nicht zu sagen.)

Der erste, wie Spinoza ihn nannte, der theologische Teil des Tractatus wäre vielleicht bei der Obrigkeit durchgerutscht. Den zweiten konnte sie sich nicht gefallen lassen; ein Jahr nach seinem Erscheinen wurde das Buch verboten.


Baruch de Spinoza: Tractatus theologico-politicus / Theologisch-politischer Traktat. Herausgegeben von Günter Gawlick und Friedrich Niewöhner. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2. Auflage der Sonderausgabe 2011. (= Baruch de Spinoza: Opera • Werke. Lateinisch und Deutsch. Erster Band)

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