Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Der junge Joseph

Schwarz auf olivgrün: Zeichnung eines Männerkopfs. Man sieht im gewählten Ausschnitt aus dem Buchcover nur Ohren, Augen und einen Teil der Frisur des Gesichts.

Wunderschön und wirklich gut gelungen ist auch der zweite Teil der Josephs-Tetralogie Thomas Manns. Als – wie sich herausstellen würde – kürzester Teil erschien der Band 1934, rund ein halbes Jahr nach dem ersten, noch bei Fischer in Berlin. Zeitereignisse werden darin allerdings nicht gespiegelt. Thema ist, wie der Titel es schon sagt, der junge Joseph. Der Autor wendet sich also, denkt man, nun endlich dem eigentlichen Titelhelden des Romans zu. Das stimmt aber, wie bei Mann nicht anders zu erwarten, nur bedingt.

„Jung“ meint hier einen 17-Jährigen. Vom Vater wird Joseph heillos verwöhnt. Bei seinen Brüdern ist er alles andere als beliebt. Wie es Vatersöhnchen gern an sich haben, ist er derjenige, der die Brüder seinem Vater verrät, wenn sie etwas angestellt haben. Ruben hat seinetwegen sein Erstgeburtsrecht verloren, weil Joseph dem Vater davon erzählte, dass der Pubertierende Sex hatte mit einer der Frauen des Patriarchen. So viel wissen wir schon aus dem ersten Buch.

Im zweiten nun kümmert sich der Autor tatsächlich genauer um den Namensgeber der Tetralogie. Nicht, dass Mann nun auf seine Aus- und Abschweifungen verzichten würde. Im selben Stil wie schon im ersten Band streift er dieses Thema und jenes, wechselt das Thema auch schon mal mitten in einem Satz. Ein größerer Exkurs gilt zum Beispiel Abraham, dem nominellen Urgroßvater Josephs. Andere Exkurse zeigen uns einen kosmologischen Bericht, eine Geschichte der Erde, wie sie zu Josephs Zeit möglicherweise erzählt worden war (und nein: Es handelt sich nicht um die Schöpfungsgeschichte, wie wir sie aus dem Anfang unserer Bibel kennen). Einen ähnlichen, aber ethnologischen Exkurs finden wir ebenfalls (und auch der hat nur bedingt etwas mit der Völkerkunde aus Sicht des ersten Buch Mose gemein).

Mit schuld an diesen Exkursen ist Jaakobs Großknecht namens Eliezer. Er erzählt Joseph diese Geschichten und bringt ihm auch das Lesen und Schreiben bei – Dinge, die ein Beduine damals sonst nicht lernte. (Eliezer, nebenbei, heißen alle Großknechte über alle Generationen von Josephs Familie hinweg.)

Joseph ist in diesem Buch also ungefähr 17 Jahre alt und dieses Buch schildert, wie die Verschlechterung seines Verhältnisses zu seinen Brüdern, den anderen Söhnen Jaakobs, zunimmt und schließlich eskaliert. Nun kann selbst ein Thomas Mann elf Personen nicht auf rund zweihundert Seiten gründlich schildern, daneben noch die Handlung vorwärts treiben und weitere Exkurse unterbringen. So werden denn auch neun der Brüder Josephs mehr oder weniger als Block dargestellt, auch wenn jedem irgendeine Kleinigkeit beigegeben ist, der ihn von den andern unterscheidet.

Zwei aber ragen heraus.

Da ist zum einen Benjamin, genannt Benoni. Er ist nicht nur der Jüngste, er sich auch der einzige von derselben Mutter wie Joseph. Zehn Jahre jünger als dieser genießt er es zwar, mit ihm spazieren zu gehen und ihm zuzuhören, wenn er wieder von einem seiner Träume erzählt, in denen er eine große und wichtige Persönlichkeit darstellt. Joseph realisiert (noch) nicht, dass ihm seine Träume etwas sagen wollen, er ist einfach nur kindlich und kindisch stolz darauf, solche Träume zu haben. Benjamin seinerseits hört darin einfach Märchengeschichten und ist stolz darauf, von Joseph ins Vertrauen gezogen zu werden.

Und dann ist da der Älteste – Ruben. Trotz des Umstands, dass es Joseph war, der ihn beim Vater verpetzte und dem er es also zu verdanken hat, sein Erstgeburtsrecht verloren zu haben, verspürt Ruben eine gewisse Sympathie oder Bruderliebe zu Joseph. Als die Situation eskaliert, und die zehn Söhne Leas (Benjamin war zu jung und ist zu Hause geblieben) den (wie sie es empfanden) herum stolzierenden und mit seinen Träumen prahlenden Joseph zusammenschlugen und ihn anschließend halbtot in eine Zisterne warfen, ist es Ruben, der, von massiger Gestalt, versucht, unauffällig möglichst viele Schläge von Joseph abzuhalten. Er ist es auch, der nach drei Tagen Reue verspürt und Joseph aus der Zisterne holen will.

Doch warum diese Explosion? Thomas Mann gibt sich viel Mühe, sie zu rechtfertigen. Nicht nur, dass das Vatersöhnchen Joseph alles ausplaudert, was die Brüder so angestellt haben. Er schleicht sich auch sonst ins Vertrauen des Alten ein. Das geht so weit, dass Jaakob sogar überlegt, ob er – da er Ruben sein Erstgeburtsrecht aberkannt hat – nicht, wie es Brauch gewesen wäre, dem Zweitältesten, Juda, dieses Recht zusprechen sollte sondern dem ältesten Sohn der zweiten Frau, eben Joseph. Diese Überlegungen bleiben in der Schwebe. Was nicht in der Schwebe bleibt, ist der Umstand, dass Jaakob seinem Liebling den Brautschleier zeigt, den Rahel seinerzeit getragen hatte. Der ist wunderschön und leuchtet in vielen Farben. Joseph beschwatzt Jaakob, ihn doch behalten zu dürfen. Es kommt, wie es kommen muss: Eitel, aber naiv, paradiert Joseph mit dem Schleier bekleidet zunächst nur, wenn er alleine im Zelt ist. Dann zeigt er sich Benjamin, um hn zum Schluss mitzunehmen, wenn er seine Brüder bei ihrer Herde aufsucht und sich auch vor ihnen damit zu zeigen. Als er ihnen dann noch erzählt, vom Vater geschickt worden zu sein, um sie zu kontrollieren (was nicht stimmt – der Vater schickte ihn in der Hoffnung, dass sich die Brüder nach der längeren Trennung wieder versöhnen könnten) und einen seiner Träume berichtet, in dem sie ihm tributpflichtig werden, ist es um ihre Beherrschung geschehen.

Im Anschluss an die Explosion aber geschieht etwas Seltsames. Als die Brüder um die Zisterne herum sitzen, in die sie Joseph geworfen haben, und miteinander diskutieren, wie es denn nun weitergehen solle, kann der unten jedes Wort hören. Also hört er auch den Beschluss, den bei der Schlägerei sowieso zerrissenen Schleier zu nehmen, ins Blut einer Ziege zu tauchen und so beim Vater zu erscheinen mit der Behauptung, Joseph sei von einem wilden Tier zerrissen worden. Entsetzt schreit Joseph aus der Tiefe, sie sollten das nicht tun – so ein Vorgehen würde den Tod des Vaters bedeuten.

Nur zwei der Anwesenden merken, was gerade passiert ist. Ruben, der bleich und mit kaltem Schweiß überströmt weggeht, weil er sofort realisiert hat, dass in diesem Moment Joseph zum ersten Mal nicht an sich selber gedacht hat sondern an einen anderen. Und auch Joseph selber, in der Grube, spürt, dass er sich selber unwichtig geworden ist.

Nach dem Abzug der Brüder gibt es übrigens einen Wächter an der Zisterne, einen offenbar himmlischen Abgesandten. Das Thema ‚Auferstehung‘ mit Anlehung an die Evangelien wird von Thomas Mann also auch im zweiten Buch weiter gesponnen.

Und zum Schluss noch dies: Joseph wird im Laufe der Geschichte einmal der Hätschelhans genannt. Allerdings nicht von seiner Mutter, die ja bei der Geburt von Benjamin gestorben ist, sondern von seinem Vater. Man mache daraus, was man wolle.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 44

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