Franz Grillparzer: Der arme Spielmann

Zwei Novellen hat Grillparzer geschrieben; diese hier ist seine zweite. Zu meiner Zeit war Der arme Spielmann fester Bestandteil gymnasialer Schullektüre; wie es heute ist, kann ich nicht sagen. Dabei entzieht sich Grillparzers Novelle jeder schulmässigen, „metaphysischen“ Interpretation.

Vielleicht ist es so, weil die Struktur der Erzählung täuscht. Mit Rahmenerzählung und Binnenerzählung weist Der arme Spielmann eine nachgerade klassische Novellenstruktur auf, wie sie seit Boccaccios Decamerone bis hin zur Romantik verwendet wurde. Der Rahmen wird in der Ich-Form erzählt; die Binnenerzählung rekapituliert das Leben des armen Spielmanns bis zu dem Moment, wo der Ich-Erähler ihn kennen lernt und sein Vertrauen gewinnt. Da die Binnenerzählung mit der Schilderung der weiteren Schicksale des Spielmanns in die Rahmenerzählung übergeht, könnten sogar Goethes Unterhaltungen als Vorbild aufgeführt werden, wo z.T. ähnliche Übergänge stattfinden.

Vielleicht ist es so, weil die Sprache täuscht. Grillparzers Stil ist ruhig und unaufdringlich, geradlinig und klar, ohne deswegen simpel zu sein (und steht damit in grossem Gegensatz zu Goethes umständlichen Kurialstil, der die meisten Prosawerke des Klassikers nach dem Werther – mit Ausnahme des Märchens! – für heutige Geschmäcker unlesbar macht).

Der Inhalt des Armen Spielmanns ist wohl allgemein bekannt, aber – um die klassische Gymnasiallehrerfrage zu gebrauchen – was will uns der Autor damit sagen? Um eine „Künstlernovelle“, wie ich Grillparzers Spielmann auch schon bezeichnet gefunden habe, handelt es sich definitiv nicht. Jakob (der Vorname des Spielmanns fällt, wenn ich mich recht erinnere, ein einziges Mal – so, wie er auch nur ein einziges Mal als armer Spielmann geführt wird, nämlich im Titel selber) ist kein Künstler. Bzw., er ist Künstler nur in der eigenen Meinung. Obwohl er aus künstlerischen Gründen, weil er dem Original treu bleiben will, wie er sagt, nur ab Blatt spielt, kann ausser ihm kein Mensch erkennen, was er denn nun wirklich spielt. Oder auch nur sein Spiel schön oder angenehm empfinden.

Aus  ursprünglich reichem Haus stammend, ist Jakob ein Versager auf der ganze Linie. Für einen ordinären Bürojob reicht es bei ihm nicht, da sein Interesse und sein Engagement dabei gleich Null ist. So behält ihn eine Kanzlei auch nur so lange, wie sein Vater im Staat von Einfluss ist; als sich der verspekuliert und abtreten muss, wird Jakob sofort auf die Strasse gestellt. Dies im wortwörtlichen Sinn: Jakob wird Strassenmusikant. Eine unglückliche Liebe trägt zu diesem Entschluss bei: Jakob glaubt so, der Musikalität seiner ihn verschmähenden Geliebten Ehre anzutun. (Sie hat ein einziges Mal ein einziges Lied gesungen.) Jakob stirbt, als er bei einer Überschwemmung die Kinder seiner Nachbarn rettet. Am Schluss der Novelle erleben wir, wie seine Geliebte, die ihn zu Lebzeiten verschmähte (wohl, weil sie seine Lebensuntauglichkeit einsah), nun über seinen Tod Tränen vergiesst, ihn also sehr wohl geliebt haben muss. Im Grunde genommen ist sie die Hauptperson der Erzählung, denn der Widerstreit zwischen Vernunft und Liebe, den sie ganz im Stillen ausgefochten hatte, und den sie zu Gunsten der Vernunft entschied, endet tragisch. Echt tragisch, denn auch wenn sie sich für ihn entschieden hätte, wäre ihr Leben elend geworden. Jakobs Geschichte selber ist traurig, aber sie ist nicht tragisch.

Grillparzer vermittelt dem Leser das Gefühl, er erzähle eine wahre Geschichte. Nun, das Volksfest im Wiener Prater, das er zu Beginn schildert, existierte wirklich (ich glaube, bis heute). Die Überschwemmung gab es ebenso, sogar einen Musikanten, der darin sein Leben liess, um andere zu retten, gab es. Grillparzers Kunst war es, diese verschiedenen Teile zu zusammenzustellen – so, dass eine lebensechte Geschichte entstand. Und so, dass der Leser lange darüber rätseln darf: Was will uns der Autor sagen?

Anders als seine Dramen, denen ich skeptisch gegenüber stehe, kann ich diese Novelle nur empfehlen.

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