Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften 2

= Robert Musil: Gesamtausgabe Band 2. Herausgegeben von Walter Fanta. Salzburg, Wien: Jung und Jung, 2016.

Band 2 also der Gesamtausgabe. Zugleich Band 2 des Mannes ohne Eigenschaften. Zugleich Band zwei des Ersten Buchs, enthaltend die Kapitel 76 – 123, mit denen dieses abschliesst.

Das Erste Buch ist der sog. Parallelaktion gewidmet, jener von Graf Leinsdorf ins Leben gerufenen patriotischen Aktion, die parallel zum 30-jährigen Jahrestag der Thronbesteigung des deutschen Kaisers das 70-jährige Jubiläum des österreichischen Kaisers feiern will. Allerdings verlaufen die Aktionen des ‚Organisationskomités‘ zusehends im Sande – bzw. je länger desto weniger Aktionen finden statt. Zwar trifft man sich noch regelmässig im Hause der Diotima, aber es erscheinen immer weniger Leute, und eigentlich ist es nur noch ein gesellschaftlicher Anlass wie jeder andere. Die Protagonisten des Romans sind – mit Ausname des Grafen Leinsdorf – alle mehr oder weniger in Liebesgeschichten verstrickt, und so verlagert sich der Roman zusehends von der Schilderung äusserer Ereignisse auf die Schilderung von Befindlichkeiten und komplexen seelischen Gegebenheiten in den Beziehungen der Protagonisten. Dies und die Schilderung allgemein kakanischen Denkens und Befindens machen den Hauptteil der Kapitel 76 – 123 aus. Es ist Musils hoher Kunst zuzuschreiben, dass wir diese nicht als veraltet und langweilig empfinden, sondern im Gegenteil als höchst aktuell und interessant.

Die Protagonisten verlieren sich also zusehends in einer Art Sumpf oder besser gesagt wohl Melasse (denn ihre Geschichten stinken ja nicht, sind eher süss und klebrig). Es ist, wie wenn bei der Vorführung eines Films die Vorführgeschwindigkeit nach und nach abgebremst würde. Als dann aber die Geschwindigkeit praktisch auf Null ist, ereignet sich etwas, das ihr eine völlig neue Wendung gibt. Das dem Leben von Ulrich, dem Mann ohne Eigenschaften, eine völlig neue Wendung gibt. Sein Vater, der ihn ja in die ganze Parallelaktion überhaupt erst hineinmanöveriert hatte, stirbt unvorhergesehen. Ulrich bricht seine Brücken zur Parallelaktion ab und verreist, um sich um den Nachlass zu kümmern. Mit diesem Kanonenschlag geht das Erste Buch jäh zu Ende.


Man merkt Band 2 nicht an, dass es sich um eine kritische Ausgabe handelt, indem kein kritischer Teil vorhanden ist. Das Erste Buch war ja schon zu Lebzeiten Musils veröffentlicht worden; die Zahl der Varianten beschränkt sich meist auf Druckfehler in der Erstausgabe bzw. den bisher gängigen Rowohlt-Ausgaben und ist schon im ersten Band erschöpfend aufgelistet worden. Druck und Erscheinungsbild nach wie vor angenehm, auch wenn ich persönlich etwas ‚eleganteres‘,  feineres Papier gewünscht hätte.

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