Pfingsten. Der junge Scheidungsanwalt Thomas Clarin (er legt Wert darauf, dass sein Nachname auf der zweiten Silbe betont wird) zieht sich in sein Ferienhäuschen ins Tessin zurück, um dort einen Artikel über die Geschichte des Schweizer Scheidungsrechts für eine Fachzeitschrift zu schreiben. Am Freitag-Abend, dem Abend seines Ankunftstages, fährt er mit dem Auto ein Stück hinunter ins Tal, um dort auf der Terrasse eines Restaurants, in dem er schon früher war, zu Abend zu essen. Die Terrasse ist praktisch voll, nur am Tisch eines älteren Herren findet er noch ein Plätzchen. Die beiden kommen langsam ins Gespräch, und der ganze Roman besteht dann praktisch nur aus der präzisen Schilderung ihrer Diskussionen. Man(n) diskutiert über die Welt, über die Frauen.
Die beiden Männer könnten verschiedener fast nicht sein. Clarin, der Ich-Erzähler, ist etwa 30 Jahre jünger, extrovertiert, dem technischen Fortschritt in Form elektronischer Gadgets nicht unzugeneigt, eine Art Frauenheld – eigentlich aber ein von Bindungsängsten geplagter Neurotiker. Thomas Loos, so nennt sich der Ältere, ist Altphilologe, introvertiert aber trotzdem Lehrer (kurz vor der Pensionierung). Er hasst die modernen technischen Spielzeuge (obwohl er sie selber auch benutzt) und ist ganz allgemein pessimistisch, was die Entwicklung der Menschheit angeht. Er war sein Leben lang mit einer einzigen Frau verheiratet, der er offenbar auch treu geblieben ist.
Die beiden sitzen bis tief in die Freitag-Nacht zusammen. Der Wein fliesst. Am nächsten Abend verabreden sie sich wieder, und noch einmal reden sie bis tief in die Nacht miteinander, noch einmal fliesst der Wein. Beim nochmaligen Rendez-vous am Sonntag-Abend erscheint Loos nicht mehr, und Clarin macht sich auf die Suche nach ihm.
Die erzählten Dialoge sind lebendig und locker. Vom allgemeinen (eben den elektronischen Gadgets, der immer schwieriger werdenden Situation von Lehrpersonen an einem Gymnasium) wendet sich das Gespräch immer mehr dem einen Thema ‚Frauen‘ zu. Die Faszination dieses handlungsarmen Romans liegt an der Art, wie Werner den Dialog führt. Rasch merkt der Leser, dass der extrovertierte Clarin, der als Anwalt eigentlich an Rededuelle gewöhnt sein sollte, vom (scheinbar?) zerstreuten und ständig vom Thema abschweifenden Loos nach Strich und Faden rhethorisch ausgenommen und hinters Licht geführt wird. Auch nach seinem Verschwinden, nachdem und gerade weil Clarin weiss, warum er verschwunden ist, wird Loos den jungen Anwalt nicht los-lassen. Clarin beginnt zu schreiben. Zuerst auf dem Lap-Top, dann, als er merkt, dass das nicht geht, holt er einen alten Füllfederhalter hervor und beginnt – nicht seinen Fachartikel, sondern – die Geschichte seiner Begegnung mit Loos nieder zu schreiben. So endet der Roman mit denselben Worten, mit denen er begonnen hat.
Der Interpretationen zu diesem Roman gibt es unzählige und ich will gar nicht erst eine weitere hinzufügen. Genug zu sagen, dass die elegante (eindeutig an Max Frisch geschulte, aber keineswegs epigonale) Sprache und das elegant-zynische Versteckspiel, das hier ein Protagonist mit dem andern spielt, den Roman zu einem Highlight der deutschen Literatur des 21. Jahrhunderts machen.
Ich bin völlig einverstanden mit dir was die Werners Fähigkeiten zu Dialogen anlangt, auch Sprachwitz (an die Szene, als Loos‘ Handy läutet, erinnere ich mich noch heute mit großem Amusement), Ironie, Sarkasmus sind ganz großartig. Was mich (nicht nur in „Am Hang“) stört, ist sein – m. E. völlig unnötiges – Bemühen um einen geistreichen, originellen Handlungszusammenhang (im vorliegenden Buch gibt es eine, wenn ich mich recht erinnere, seltsame Koinzidenz die Frauen betreffend, die dann eine Verflechtung der Personen anzeigt). Wer derart geistreich und witzig zu formulieren versteht, sollte auf derlei Dinge verzichten: Die Bücher wären zwar noch handlungsärmer, aber stimmiger.
Es ist wahr, der Roman würde auch ohne den Schlussteil grossartig funktionieren. Allerdings öffnet sich meiner Meinung nach die ganze Absurdität der Diskussion (nicht nur dieser beiden Männer, sondern überhaupt) ‚der Männer‘ über ‚die Frauen‘ erst, wenn der Leser erfährt, dass die beiden völlig verschiedenen Männer, die über völlig verschiedene Frauen zu reden schienen, beide über dieselbe geredet haben – und offenbar beide nicht in der Lage waren, sie zu verstehen. Hätte man allerdings auch anders lösen können, gebe ich zu.