Heinrich von Kleist – zum 200. Todestag

Kleist – auch wenn im Klassikerforum gerade vom Prosa-Dichter geschwärmt wird (und das unter dem bezeichnenden Titel „Kleist, der vergessene Dramatiker“) – mochte ich eigentlich immer mehr als Dramatiker denn als Novellist. Nun ist jener Thread in seinem Ursprung 5 Jahre alt, hat also mit der 200-Jahrfeier von Kleists Todestag nichts zu tun.

Dennoch soll auch in diesem Blog Kleists gedacht werden. Kleist ist ein sperriger Autor. Nicht, weil er exzessiv lange oder komplizierte Werke verfasst hat. Es ist die Art und Weise, wie er sie verfasst hat. Im Drama ist er nicht nur der Vorläufer sondern eigentlich auch gleich der Vollender des expressionistischen und des absurden Dramas in einem. Seine Figuren sind verletzlich und werden bis zum Geht-nicht-Mehr verbogen. Durch die Umwelt (die andern), aber auch durch sich selber. Kleists Menschen eignet eine faszinierende Selbst-Destruktivität.

Und das Ganze in einer Sprache, die dem Leser bzw. Zuschauer im Theater kaum erlaubt, Atem zu holen. Die Ereignisse in Kleists Werken überschlagen sich ständig – so auch in seiner Sprache. Es sind auch „unerhörte“ Ereignisse, die Kleist dem Rezipienten zumutet. In Penthesilea lässt die Protagonistin ihren Geliebten von ihren Hunden zerreissen. In der Marquise von O… vergewaltigt der Eroberer eine bei ihm Schutz suchende Frau und schwängert sie.

Daneben stehen Kleist in weitestem Sinne erkenntnistheoretischen Aperçus: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden– worin es um genau dies geht: Wie man oft erst unterm Reden anfängt über die Sache nachzudenken und ein Resultat erreicht. Über das Marionettentheater, in dem Kleist als erster, lange vor Freud, die Tatsache explorierte, dass unbewusstes Handeln oft schöner und richtiger ist, als ein Handeln, das aus dem Einschalten bewusster Reflexion resultiert.

Neben diesem hochaktuellen Kleist steht leider der in teutonischem, ja preussischem Eifer glühende Patriot, dessen diesbezüglichen Ergüsse wohl nur aus einem Verständnis jener Zeit und der persönlichen Situation des aus altem Adel stammenden Kleist akzeptiert werden können. Immerhin befanden sich unter Kleists Ahnen jede Menge hochrangiger preussischer Militärs.

Doch dies macht nicht die Aktualität. Sondern seine grossartigen, atemberaubenden Dramen und seine komplexen Reflexionen. Kleist ist kein vergessener Dramatiker. Allenfalls wird er verdrängt, weil er auch heute noch allzu aktuell ist, allzu heftig an den Grundfesten unseres Seins und Denkens rüttelt.