Sylke Bambilke: Den Hasen schlachten

Sylke Bambilke – so nennt sich eine Autorin, die im Rahmen des Self-Publishing-Programms von amazon zwei oder drei Texte veröffentlicht hat. Mit elektronischem Self-Publishing wird kaum jemand reich oder berühmt, geschweige gar beides zusammen. Kurzgeschichten in der Art von Den Hasen schlachten sind – trotz Alice Munros Nobelpreis für Literatur –  im Zeitalter von mehrtausendseitigen Fantasy-Wälzern beim Publikum auch kaum gefragt; und so erstaunt es mich nicht, dass dieser Text irgendwo kurz vor Rang 600’000 in der amazon-Liste klassiert ist. Dabei handelt es sich bei Den Hasen schlachten durchaus um ein kleines Juwel.1)

In 70 Kapiteln, von denen jedes den Charakter einer selbständig lesbaren Kurzgeschichte aufweist, werden uns zwei oder drei Jahre aus dem Leben eines Verlierers erzählt. Das heisst, eigentlich erzählt der Verlierer sein Leben selbst. Der Ich-Erzähler – sein Name wird, glaube ich, nirgendwo erwähnt – arbeitet zumindest zwischendurch mal als Bauarbeiter. Nun sind Bauarbeiter in den wenigsten Fällen literarisch gebildete Leute, und um ihn erzählen lassen zu können, greift die Autorin zum Trick, ihn seinen Kumpels, seinen Freunden, seiner Mutter oder seiner Frau erzählen zu lassen. Im Grunde genommen also halbe Dialoge, denn sein Gegenüber hören wir nie. Auch wenn der Ich-Erzähler also nicht am Telefon ist, stellt sich für den Leser die Situation doch genau so dar, als wenn er ihm beim Telefonieren zuhörte. Diese Art zu erzählen, ist gefährlich, weil der Autor gern in eine künstliche, gestellte Situation rutscht, wo er die Antwort des Gegenübers ausführlichst wiederholen lässt, damit der Leser versteht. Sylke Bambilke ist es allerdings gelungen, diese Skylla ebenso zu umschiffen wie die Charybdis einer Sprache, die dem Niveau des Arbeiters nicht angemessen wäre. Von Beginn des ersten Kapitels weg sind wir im Sprachfluss des Arbeiters gefangen. Die Sprache stimmt ganz einfach. (Höchstens, dass der Ich-Erzähler für einen Arbeiter sehr, sehr wenig Schimpf- und Fluchwörter verwendet. Aber vielleicht ist es Teil des ‚Image‘ eines Loosers, das der Ich-Erzähler hat, dass er nicht einmal richtig zu fluchen versteht.)

Denn unser Ich-Erzähler ist ein Verlierer nach allen Punkten. Wir erleben ihn ganz am Anfang, wie er – arbeitslos, von seiner Freundin ausgehalten – mit eben dieser Freundin in Streit gerät. Ihr Hund hat offenbar draussen im Park einen Hasen gerissen und halb getötet. Nun soll er das arme Viech ganz umbringen. Er weigert sich. Ob er seine Weigerung durchzieht oder ein Maulheld bleibt, erfahren wir nicht. In Kapitel II erzählt er uns schon, wie er in seiner Stamm-Spelunke mit seinen (!) auf die Jagd abgerichteten Hunden angibt. Leider ist der ihm so sympathetisch zuhörende Fremde ein Privat-Bulle, also ein Polizist in Zivil. Es kommt, wie es kommen muss: Unser Erzähler wird verhaftet und später auch verurteilt. In der Zwischenzeit stellt ihn seine Freundin auf die Strasse. Lange bleibt er indessen nicht allein, denn sein Kumpel Luigi stellt ihn bei einer Familienfeier ganz unauffällig seiner Schwester vor. Bald darauf erfahren wir, dass die beiden heiraten ‚müssen‘, weil sie schwanger ist. Eigentlich kann er ja nicht der Vater sein, hat er sich doch diese Vasen-Dektomie machen lassen, aber der Druck der grossen italienischen Verwandtschaft Luigis stimmt den Erzähler um. Und so geht es weiter. Der Erzähler zieht über die Mafia, das ist seine italienische Verwandtschaft, ebenso her, wie über den warmen Bruder Kurti, den Friseur unten im Haus, der so gern rosa Hemden trägt. (Hier hat die Autorin vielleicht ein bisschen allzu tief in die Kiste der Clichés gegriffen…) Dennoch verträgt er sich, Looser, der er ist, mit allen und hilft allen, wenn er denn kann.

Zum Schluss nämlich hat unser Verlierer tatsächlich so alles verloren, was man verlieren kann: Der kaum erst ergatterte Job ist wieder weg, diesmal, weil die Firma Konkurs gemacht hat; Luigis Auto ist weg, weil sein Chef es als Fluchtauto bei einem Bankraub benutzt hat; die Wohnung ist ihm gekündigt worden, weil das  Haus generalüberholt wird. Nur Frau und Kind sind ihm geblieben, mit denen er wohl bei seiner Mutter einziehen muss.

Sylke Bambilkes kurzer Roman schwebt gekonnt zwischen Satire und Realismus. Es gibt sie zu Hauf, diese Verlierer, die ihren Frust im Bier ertränken, und deren einziger Lichtblick in die Zukunft der Millionengewinn im Lotto ist. Dennoch kann man sich als Leser eines Schmunzelns über diesen speziellen Verlierer nicht enthalten, der mit der Sicherheit eines Traumtänzer von einer Bredouille in die nächste gerät.


1) Da ich bekanntlich keine e-books lese, hat mir die Autorin verdankenswerter Weise einen physischen Ausdruck des Originals zur Verfügung gestellt, in Form einer gehefteten Broschüre.

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