Aulus Gellius: Attische Nächte

“Gellius ist eine Famulusnatur: das Bewundern, Schlepptragen, Applaudieren ist ihm ein Bedürfniss, und er übt es gegenüber von dem Entgegengesetztesten, gleichzeitig gegen Fronto und Cicero. Seine Anhänglichkeit an die von ihm Erkorenen hat etwas Rührendes, ausser wo sie sich in Geringschätzung Derer ausspricht, die zu einer anderen Schule gehören. In seiner ebenso gutherzigen wie beschränkten Mittelmässigkeit spiegelt er den Charakter seiner Zeit treulich wieder, ihre wichtigthuende Geschäftigkeit ohne ernstes Ziel, ihre Verranntheit in Nichtigkeiten, ihren völligen Mangel an eigenem Geiste, an Productionskraft, Urtheil und Verstand, ihre Gelehrsamkeit wie ihre Pedanterie. Es gelingt ihm oft, recht anschauliche und (unfreiwillig) ergötzliche Bilder von dem Treiben in seiner Zeit zu geben. Ausserdem ist für uns seine Anhäufung von Excerpten aus verlorenen alten Werken von umso grösserem Werthe, weil der Verfasser mit seiner ängstlichen Gewissenhaftigkeit da, wo er wirklich selbst gesehen hat, vollen Glauben verdient. Freilich ist er auch von der Sucht seiner Zeit ergriffen, gelehrter zu erscheinen als er ist, und hat wohl Manches aus secundären Büchern entnommen, was er aus den Quellen selber geschöpft zu haben behauptet.”

Der Herausgeber und Übersetzer meiner Ausgabe der Attischen Nächte, Fritz Weiss, zitiert mit diesen Worten den “Literaturhistoriker A. W. Teuffel”. Ich kenne Teuffel nicht, selbst Google spuckt nichts zu ihm aus. Selbstverständlich ist Weiss nicht Teuffels Meinung, sonst hätte er die Attischen Nächte kaum übersetzt. Aber es sollte doch zu denken geben, dass Weiss 1875 nicht nur der erste war, der alle 20 Bücher ins Deutsche übersetzte – er ist auch bis heute der einzige geblieben. Und selbst diese Übersetzung ist neu nicht mehr im Handel, bzw. nur als Reprint der Ausgabe von 1875 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erhältlich – nämlich als Book on Demand. Das liegt unzweifelhaft daran, dass Teuffel Recht hat. Gellius ist im Grunde genommen ein Langweiler, ein gelehrter Dandy. Er excerpiert alte Autoren, je älter, desto lieber. Cicero ist gut, Cato ist besser. Über Gellius’ eigene Zeit erfahren wir nichts, ein einziges Mal schildert er sich und seine Freunde im Ante-Chambre des Kaisers. Seine Themen sind vorwiegend sprachpflegerischer Natur, dann werden etwa auch die Rechtslehre und die Philosophie gestreift. Gellius ist ein konservativer Mensch, die alten Tugenden werden ebenso gerühmt wie die alten grammatischen Konstruktionen (in dieser Hinsicht ein echter Vorläufer der sprachpflegerischen Intentionen eines Engel, Reiners, Sick).

Somit bleibt Teuffels Kritik wenig hinzuzufügen. Ein paar sachliche Informationen: Gellius lebte im 2. Jahrhundert u.Z., vorwiegend in Rom, studierte aber auch bei griechischen Philosophen in Athen. Auch hierin der typische gelehrte Dandy seiner Zeit, der perfekt zweisprachig (Latein und Griechisch) schwadronieren konnte. Als Philosoph im Grunde genommen Eklektiker, auch wenn er selber sich offenbar einer akademischen Richtung zuzählte. Augustin soll aus Gellius seine Darstellung der Stoa übernommen haben. Auch sonst war Gellius Steinbruch für viele Nachfolgende. Sein Werk war auch steinbruchartig angelegt: In 20 Büchern zitierte er (meist zu seinen Lieblingsthemen, s.o.) aus alten Schriftstellern, oft wird in einer (fiktiven?) Gesprächssituation debattiert. Zum Schluss hat dann einer Recht, nämlich Gellius oder einer seiner Lehrer. Das Ganze wird in relativ kleinen, leicht verdaulichen Häppchen serviert. Die einzelnen Kapitel umfassen manchmal nur wenige Zeilen, meist nicht mehr als 3 oder 4 Seiten. (Heute wäre Aulus Gellius wohl Blogger!) Diese Kapitelchen sind meist sehr gut strukturiert, in der klassischen Aufsatzform von Einleitung, Hauptteil, Schluss. Montaigne soll dies von ihm gelernt haben, doch Montaigne war daneben ein selbständiger Denker, was man von Gellius nicht sagen kann.

Alles in allem: Wer kein besonderes Interesse am Treiben der römischen Intelligentsia des 2. Jahrhunderts u.Z. hat und/oder an Fragen über den richtigen Gebrauch des Konjunktiv II eines schon zu Ciceros Zeiten völlig veralteten lateinischen Verbs, braucht Gellius heute nicht mehr gelesen zu haben.

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