Agatha Christie: The Body in the Library [Die Tote in der Bibliothek]

1942 erschienen, handelt es sich hier um den zweiten Roman, den Mrs. Christie mit Miss Marple in der Hauptrolle der ermittelnden Detektivin geschrieben hat. Zu Beginn muss ich mich gleich selber zitieren:

Agatha Christie ist für mich so etwas wie die Jane Austen des 20. Jahrhunderts. Nur dass diese den Beginn einer Epoche signalisiert, jene deren Ende. Ich meine das Viktorianische Zeitalter, die Zeit zwischen 1830 und 1900, in der Grossbritannien den Höhepunkt seiner Macht und seines Selbstbewusstseins erreichte. Gewiss, Jane Austen war bereits tot, als Viktoria den englischen Königsthron übernahm, Agatha Christie gerade mal 11, als Viktoria starb. Doch Austen signalisiert den Beginn jener Epoche ebenso, wie Agatha Christie deren Ende. Beide Autorinnen verfassen ‘leicht’ – ja seicht – anmutende Literatur. Beider Werke ist die Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung, nach Harmonie, gemeinsam. Beide Autorinnen finden diese Harmonie im ländlich-dörflichen England ihrer Zeit, in einer Gesellschaftsschicht, wo die Leute zwar reich genug sind, um nicht (viel) arbeiten zu müssen, aber nicht so reich, dass sie zum Jet-Set der Grossstädte gehören könnten. Immer wieder steht diese Harmonie in Gefahr, zerstört zu werden. Immer wieder kann sie – man ist versucht zu sagen: in extremis – gerettet werden. Der grosse Störfaktor dieser Harmonie ist auch bei beiden Autorinnen derselbe: die Sexualität, das Spiel von Anziehung und Abstossung der Geschlechter. […] Last but not least schreiben beide im Grunde genommen über die Situtation der Frau in ihrer Zeit. Frauen, die zwischen aufkommender Selbständigkeit und Gleichberechtigung einerseits, völliger Entmündigung andererseits eingeklemmt sind. Viele müssen sich ihren Lebensunterhalt selber verdienen, andere (oft auch dieselben!) suchen diesen in einer lukrativen Heirat. (“The Murder at the Vicarage”)

Anders als bei Austen – die zum Schluss dann doch ihre Frauen in den Hafen der Ehe einlaufen lässt, wo sie offenbar ihr Glück finden – stehen wir im 20. Jahrhundert bei Agatha Christie vor einer mehr oder weniger kompletten Destabilisierung, gar Pervertierung, von Ehe und Familie. Die Familie ist nicht mehr der sichere Hafen, der Rückzugsort des Einzelnen. Einerseits ist sie im vorliegendem Fall durch Einflüsse von aussen gefährdet. Am eigenen Leib erfährt dies das Ehepaar Bantry, das ein herrschaftliches Haus in der Nähe von St. Mary Mead bewohnt, dem fiktiven Wohnort von Miss Marple. In ihrer Bibliothek wird eines Morgens eine weibliche Leiche gefunden. Dolly Bantry zieht ihre Freundin Miss Marple hinzu – gemeinsam mit ihr will sie den Mord aufklären. “Wenn schon eine Tote in der eigenen Bibliothek, dann will ich daran meinen Spass haben!”, scheint ihr Motto zu sein. In Tat und Wahrheit aber sieht die Frau (im Gegensatz zu ihrem Mann, der das erst viel später realisiert), die Gefährdung ihres ehelichen Idylls durch die Tote. Es muss doch, werden sich die Schwatztanten und -onkel des Dorfs sagen, einen Grund haben, warum die junge Frau ausgerechnet bei Colonel Bantry tot gefunden wurde. Eine heimliche Geliebte? Dolly Bantry will den Mord aufklären, um sich und ihren Mann, ihre Familie, wieder rein gewaschen zu haben.

Doch diese Form von Gefährdung einer Familie von aussen ist im Grunde genommen die harmlosere. Viel schlimmer ist jene Gefährdung, die auch die Aufklärung des Falles zum Inhalt hat: die Gefährdung von innen. Familie, das sind nicht sich unbedingt liebende Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Schwiegersöhne und Schwiegertöchter, Cousins und Cousinen. Es herrscht vielmehr ein gnadenloser Kampf – vor allem unter den Frauen – um das einzige, was zählt: Geld. So überrascht es kaum, dass die eine Familie (die des Ehepaars Bantry nämlich) gerettet wird durch den Nachweis einer völligen Zerrüttung einer anderen, durch die Überführung eines Mörders also, der aus der Familie des Opfers stammt.

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