Robert Louis Stevenson: Der Strand von Falesá

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Robert Louis Stevenson auf der Südsee-Insel Samoa. Was er dort sah und hörte, radikalisierte seine politischen Ansichten: Er stand der kolonialistischen ‚Mission‘ der Weissen zusehends kritischer gegenüber. Neben entsprechenden Artikeln in britischen Zeitungen entstand in diesem Zusammenhang auch die vorliegende Erzählung.

Falesá ist eine fiktive Insel (oder ein fiktiver Ort auf einer nicht weiter genannten Insel – so genau wird Stevenson nicht) in Polynesien. Die Geschichte beginnt damit, dass der Ich-Erzähler, der Brite Wiltshire, aus einer andern britischen Kolonie am Äquator an diesen Ort kommt. Er spricht die Sprache der Eingeborenen nicht, und ist darum froh darum, dass ihn ein anderer Weisser namens Case in Empfang nimmt und auch gleich dafür sorgt, dass er in einer Scheinzeremonie ‚verheiratet‘ wird. Seine ‚Frau‘, Uma, ist ebenfalls eine Fremde auf dieser Insel. Sie steht, was Wiltshire erst später herausfinden wird, unter einem Tabu, nachdem sie die Avancen eines einheimischen Häuptlings zurückgewiesen hat. Dieses Tabu wird nun auch auf Wiltshire erstreckt: Er kann weder seine mitgebrachten Güter verkaufen, noch Kopra einkaufen, weswegen er hauptsächlich auf die Insel geschickt wurde. (Kopra, das getrocknete Kernfleisch der Kokosnuss, dient zur Herstellung von Kokosöl.) Wiltshire findet heraus, dass Case hinter dem Ganzen steckt. Case, der – von Uma ebenfalls zurückgewiesen – die Gelegenheit beim Schopf packte, einen Händler-Konkurrenten auszuschalten. Case, der sein physikalisch-technisches Mehrwissen gegenüber den Einheimischen dazu verwendet, sie mit Tricks davon zu überzeugen, dass er über Verbindungen zu einer mächtigeren Welt verfüge. Case, den Wiltshire schliesslich in einem Kampf Mann gegen Mann tötet.

Die Erzählung ist eine beissend-verzweifelte Satire auf the white man’s burden. Case ist der absolute Bösewicht, aber auch Wiltshire ist ein Mann voller kolonialistischer und rassistischer Vorurteile, die er als Ich-Erzähler – nachgerade naiv – dem Leser weitergibt. Entlarvender könnte die Borniertheit und Dummheit der weissen Kolonialisten nicht dargestellt werden, als in der Figur dieses Wiltshire. Die Leser in Grossbritannien (auch sog. Intellektuelle und Schriftstellerkollegen Stevensons) schätzten dementsprechend weder den politischen Pamphletisten, noch diese kritische Darstellung der Rolle des Weissen Mannes, die so gar nicht dem hehren Selbstverständnis des viktorianischen Publikums entsprach. Er wurde dafür öffentlich angegriffen und seine Erzählung Der Strand von Falesá wurde – als sie endlich veröffentlicht wurde – nur mit Streichungen ans Publikum weitergegeben, sehr zum Ärger Stevensons. Die Streichungen betrafen, neben den politischen Aussagen, auch die für damalige prüden Verhältnisse allzu offene Ansprache von Körperlichkeiten im Text.

Warum aber, geneigte Leserin, geneigter Leser, wirst du jetzt fragen, warum aber sollten wir heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, eine Erzählung zum Thema Rassismus und Kolonialismus noch lesen? Schliesslich ist der Kolonialismus zwar heute so wenig tot, wie der von Stevenson ebenfalls angeprangerte Rassismus der Weissen, aber er hat jetzt ganz andere, viel subtilere Formen angenommen. Nun, abgesehen davon, dass die Unterschiede zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und heute so gross nicht sind, hat Stevenson in Der Strand von Falesá zu einem neuen, realistischen Ton gefunden, der literarisch ins 20. Jahrhundert überleiten wird. Die doppelbödige Ironie, mit der Stevenson seinen Erzähler Wiltshire einsetzt, stellt schon an sich einen Lesegenuss dar, und wenn wir einmal die ganze Kritik am Imperialismus Grossbritanniens aussen vor lassen, bleibt ein grosses und ewiges Thema der Literatur: die Liebe. Denn bei aller Verkorkstheit, mit der sich Wiltshire ausdrückt: Es ist völlig klar, dass er nur so handelt, wie er handelt, weil er diese Uma, die er in einer Laune am Strand geheiratet hat, tatsächlich ebenso liebt, wie sie ihn. Er hätte sie, als ihm klar wurde, dass sie der Grund seines Tabus auf der Insel war, einfach verstossen können, zog es aber vor, die lebensgefährliche Auseinandersetzung mit dem Rivalen Case zu wagen – Case, der bei Uma ebenfalls abgeblitzt war. Letzten Endes haben wir eine archaische Situation vor uns: Zwei Männchen, die um die Ressourcen in Form von Nahrung und Weibchen kämpfen. Odysseus, der die Freier in seiner Halle erschlägt, hat nicht anders reagiert als Wiltshire, der Case das Messer in die Brust sticht, nachdem er von ihm angeschossen worden ist.

Ein Text mit einer zu seiner Zeit aktuellen Gesellschaftskritik, der auch heute noch jenseits aller geschichtlichen Interessen lesenswert ist, hat Seltenheit. Hier haben wir einen.


Robert Louis Stevenson: Der Strand von Falesá. Nach dem ungekürzten Originalmanuskript übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Salzburg, Wien: Jung und Jung, 2010.

3 Replies to “Robert Louis Stevenson: Der Strand von Falesá”

  1. klitzekleine Korrektur…
    unter Fachleuten inzwischen ein offenes Geheimnis, die weiblichen Partnerwahlstrategien.
    die Männleins kämpfen zwar, aber es ist ein alter Irrtum, daß der Sieger dann das/die Weibchen zur Belohnung bekommen.
    sondern die suchen nach ganz eigenen Gesichtspunkten aus.
    seit man Gentests machen kann, weiß man, daß eben nicht der „Sieger“ für den meisten Nachwuchs sorgen darf…

    1. Mit Verlaub – aber das ist in Bezug auf den Homo sapiens – eine unzulässige Verkürzung. Und was die Tierwelt anbelangt, so hängt das von sehr unterschiedlichen Faktoren ab (insbesondere ob ich ein Pavianmännchen (sexueller Größendimorphismus) oder ein Webervogel bin, der der prospektiven Austrägerin der befruchteten Eier etwas vortanzen bzw. vorbauen und dabei auch ihren ästhetischen Ansprüchen genügen muss). Wir Menschen sind da irgendwo in der Mitte angesiedelt – oder wie ich kürzlich von einer Bühne herab vernehmen konnte: Die Frau ist die einzige Beute, die dem Jäger auflauert.

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