Web 2.0 ist das Mitmach-Web. Das ist auch mit dem Lesen, der Literatur so. Im Web 2.0 ist jeder ein kleiner Reich-Ranicki. Über die Qualität dieser kleinen Reich-Ranickis (auch über die des grossen!) liesse sich trefflich streiten. Aber darum geht es mir im Moment nicht.
Es geht mir um etwas anderes, um etwas, das ich in verschiedenen Literaturforen und -blogs mehr und mehr bemerke. Es geht mir um ein Prinzip, um einen Mechanismus, der mehr und mehr einreisst. Verlage veranstalten über eigene und fremde Literaturforen immer mehr Verlosungen, verschenken immer mehr Gratisexemplare. Mit dem, was eine Forenteilnehmerin eines mir bekannten Forums, das zu nennen aber hier nicht nötig ist, mit dem also, was diese Teilnehmerin in 9 Monaten allein bei lovelybooks umsonst erhalten hat, bestreite ich ziemlich genau 1/6 meines Jahres-Lesebudgets. Lovelybooks aufs Jahr hochgerechnet und andere Gratisexemplare hinzugenommen, wird diese junge Frau mindestens auf runde 30 Gratisexemplare jährlich kommen. Ich halte mich selber mit 90-100 Neuerwerbungen pro Jahr für einen relativ fleissigen, wenn auch nicht exzessiven Bücherkäufer. Wenn ich nun auf Gratisexemplare aus wäre, fielen den Buchhandlungen und Antiquariaten rund 30% des von mir generierten Umsatzes weg. Die tatsächliche Zahl über alle Leser-Käufer hinweg gerechnet ist wahrscheinlich kleiner. Noch. Aber mir scheint die Tendenz zu Gratisexemplaren auf Geber- wie Empfängerseite zuzunehmen. Das kann längerfristig nicht gut gehen. Die Verlage haben halt in den meisten Fällen immer noch nicht gelernt, mit Web 2.0 umzugehen. Selbst wenn man das Problem erkannt hat, reagiert man völlig falsch und überrissen. Vor allem eben reagiert man und agiert nicht. Was könnte ein schlauer Marketing-Mensch mit all diesen Literaturforen und -blogs nicht alles veranstalten. Das einzige, was ihnen in den Sinn kommt, ist, sie mit Gratisexemplaren vollzustopfen, und auf einen Multiplikationseffekt zu hoffen, der nicht eintreffen kann, weil die, mit denen man den Absatz multiplizieren will, schon über den einen oder andern Kanal mit Gratisexemplaren versorgt worden sind.
Man mag mir sagen: Es sind ja nur Bestseller betroffen, Trivialliteratur. Sicher. Aber: Bis anhin war immer die Lehrmeinung, dass die Verlage mit dem Massenverkauf solcher Literatur ihre „wertvolleren“ Bücher quersubventionieren. Und diese Quelle verstopfen die Verlage sich nun freiwillig. Darin, und nicht im e-book, sehe ich eine wirkliche Gefahr des Internet für die Lese- und Buchhandelskultur im deutschen Sprachraum aufziehen.