Summer schliesst den Reigen von Anthologien zu den vier Jahreszeiten, die von der Folio Society seit 2015 herausgegeben und den Bestellungen ihrer Mitglieder (heute: Kunden) als kleines Geschenk beigelegt wurden. Die Anthologie wird auch verkauft, weshalb ich denn auch keine Skrupel habe, sie hier kurz vorzustellen. Ähnlich wie bei ihren Vorgängerinnen Autumn, Winter und Spring finden wir eine grosse Bandbreite an Epochen und Literaturen. Auch die Kinder- und Jugendliteratur ist wieder vertreten. Es zeigt sich aber, dass es über alle Anthologien hinweg oft die gleichen Autoren sind, die aufgeführt sind; es zeigt sich auch eine mir nicht ganz verständliche Vernachlässigung der deutschen Literatur (die auch dieses Mal mit keinem einzigen Beispiel angeführt wird). Dass Gedichte gemischt werden mit kurzen Ausschnitten aus Prosa-Werken, gilt ebenfalls für alle vier Anthologien.
Am interessantesten wohl noch das Vorwort des Meteorologen und Astronomen Strom Dunlop, der nicht ohne Witz aus sowohl meteorologischer wie astronomischer Sicht den Begriff ‚Sommer‘ erläutert – wofür ihm als eine Art Leitmotiv Nat King Coles Lied über die lazy, hazy, crazy days of summer dient.
Danach steigen wir ein mit einem Gedicht von Edward Thomas – Erinnerungen an frühere Sommer in England. Pablo Neruda vertritt die lateinamerikanische Literatur. Jerome K. Jerome darf nicht fehlen mit einem Ausschnitt aus einem der berühmtesten Sommer-Büchern Englands, Three Men in a Boat. The Golden Bough zum Thema ‚Mittsommer-Feuer‘ ist da. Tove Jansson mit einem Ausschnitt aus einer Mummin-Geschichte. Ein englisches Lied aus dem 13. Jahrhundert. Ein Satz (= 3 Zeilen + 2 Wörter) aus William Allinghams Tagebuch. Ein Gedicht von Robert Burns natürlich, und drei Sätze (= fast 6 volle Zeilen) aus Dororthy Wordsworths Grasmere Journal. Ein altgriechisches Gedicht von einem unbekannten Verfasser ebenso wie ein Gedicht von Walt Whitman. Giuseppe di Lampedusa erzählt von den Sommer-Komödien, die in Lampedusa aufgeführt wurden. Thomas Hardy ist ebenfalls Stammgast der Jahreszeiten-Anthologien. Die grossen englischen Lyriker sind dieses Mal mit Yeats und Tennison vertreten. Wodehouse, allerdings nicht mit einer Geschichte um Jeeves und Woster. Ein Gedicht von D. H. Lawrence, den man hierzulande wohl als Lyriker kaum kennt. Sein Gedicht über eine Wasser trinkende Schlange ist thematisch interessant, als Lyriker vermag mich Lawrence aber nicht ganz zu überzeugen. Vincent van Gogh, der sich in seinen Briefen als begnadeter Naturschilderer zeigte, wird mit einem Ausschnitt aus einem Brief an seine Schwester angeführt. Ein anderer, eher als bildender Künstler bekannter Teilnehmer ist Andy Warhol – allerdings geht es im kurzen Ausschnitt aus seinem Tagebuch nicht um den Sommer, sondern um Andy Warhol selber, genauer gesagt um seinen Geburtstag am 6. August 1985 und ein Geburtstagsgeschenk, das er erhielt (oder eben nicht erhielt). Er wird gefolgt von einem Gedicht Emily Dickinsons. Zum ersten Mal in den Jahreszeiten-Anthologien Longfellow mit einem Ausschnitt aus Hiawatha über dessen Jugend. Beckett mit einem zweisprachigen Gedicht (französisch und englisch). Für einmal von den Brontës Emily, mit einem Ausschnitt aus Wuthering Heights, der wunderhübsch ironisch ist. Léon Daudets Frau (so eingeführt!) mit einem Ausschnitt aus einem Kochbuch(?) über das Essen in Südfrankreich. Natürlich darf Shakespeare nicht fehlen (Sonett 18). Robert Graves‘ Gedicht kann mich ebenfalls nicht überzeugen. Plinius d. J. berichtet über den Ausbruch des Vesuv am 25. August 70 v. u. Z. Es folgen E. M. Delafield mit einem weiteren kleinen Abenteuer ihrer Provincial Lady, Thoreau (der tatsächlich lange genug in Walden lebte, um dort alle Jahreszeiten mitgemacht zu haben und der demnach in seinem Buch auch alle Jahreszeiten dort beschrieben hat) und der Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore. Ein japanisches Gedicht aus dem frühen Mittelalter. Tolstoi mit einer Ernte-Szene aus Anna Karenina. Christina Rossetti mit Goblin Market. Und weitere.
Einiges hierzulande Unbekannteres habe ich weggelassen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Auswahl offenbar sehr zufällig geraten ist, ebenso zufällig wie danach die Reihung der Beiträge, die weder chronologisch noch geografisch noch sonst wie inhaltlich einem Muster folgt.
Hätte ich für das Buch bezahlt, wäre ich enttäuscht. So kann ich nur sagen, dass eine andere wichtige Funktion einer Anthologie nicht erfüllt wurde: Ich konnte keinerlei Anregung daraus ziehen für eine weitere Lektüre mir unbekannter Autoren oder Werke. Schade.