Anders als im eigentlichen Tagebuch der Jahre 1802 bis 1805 finden wir in den Beilagen, die als separater Band herausgegeben werden, kaum Spuren der politischen Ereignisse jener Zeit. Keine Zeitungsausschnitte (einzig der völlig unpolitische Bericht über Klopstocks Begräbnis findet Eingang in die Beilagen, sowie die Todesanzeige seines Vaters). Zwei oder drei geschäftliche Akten, die Beneke zu dieser Zeit noch dem Tagebuch beilegt. Daneben vor allem Briefe, aber auch in denen kaum politische Anspielungen. Die meisten Briefe, die Beneke in diesen Jahren dem Tagebuch beilegt, sind privater Natur: Familienbriefe von Vater, Mutter, Schwester oder Bruder. Briefe Rambachs, in dessen Verlobte Beneke noch immer unsterblich verliebt ist, und die diesen als nüchternen Analytiker des Beneke’schen Seelen-Kuddelmuddels ausweisen. Diese Briefe waren dafür gedacht, den überhitzten Freund abzukühlen, kaltes Wasser über dessen Liebe zur Verlobten zu schütten – aber die Abkühlung erfolgte nicht am gewünschten Ort, sondern an einem völlig unerwünschten, der Freundschaft zwischen Rambach und Beneke. Im Übrigen beweisen Rambachs Briefe, dass ihm Beneke noch immer Blätter aus seinem Tagebuch zur Lektüre gibt. Beneke will damit die Freundschaft retten (redet er sich ein). Rambach erblickt darin nur einen weiteren Beweis der aktuellen Überspanntheit seines Freundes.
Vielleicht der am häufigsten beiseite gelegte Brieffreund ist allerdings Benekes alter Schulfreund aus Bremen, Johann Smidt. Der war in Bremen geblieben und unterdessen dort zu einem der wichtigsten Politiker der Stadt aufgestiegen. Auch diese Briefe behandeln kaum politische Fragen. Bei genauerem Hinsehen stellt man allerdings fest, dass sie so ostentativ unpolitisch sind, so voller Andeutungen stecken, dass bei jedem Zensor, der sie gelesen hätte, die Alarmglocken hätten schrillen müssen. Viel kann zwar nicht dahinter gewesen sein: Beneke war nicht nur in der Liebe ein Spätzünder. Auch politisch gesehen war er zu der Zeit, die dieser Beilagen-Band vorstellt, noch ein Leichtgewicht, anders als sein Bremer Freund.
Daneben finden wir einige gedruckte Beilagen: Da ist zum Beispiel die unterzeichnete Austrittsbestätigung seiner Freimaurer-Loge. (Dass ihn die Freimaurerei auch in den Folgejahren – trotz seines Austrittes – nicht in Ruhe lassen sollte, lag wohl daran, dass später sein Schwiegervater einer der Großmeister der Hamburger Logen war, Beneke also nolens volens mit der Freimaurerei in Berührung blieb.) Wir finden zwei Theaterzettel von einem Besuch in Hannover. Beide Male besuchte Beneke Stücke von Schiller: Wallensteins Lager (mit einem Vorspiel von Rambach (seinem Hamburger Freund?): Das Mißverständniß) und den Wilhelm Tell. Beide Male steht auf dem Theaterzettel explizit: Das Klatschen ist auf Höchsten Befehl verboten. Warum auch immer.
Beneke hat auch selber Stücke (mit) verfasst: Kleine Dinger, gedacht einzig zur Aufführung im Freundeskreis. Dasselbe gilt für die meisten Gedichte, die wir finden: Gelegenheitsarbeiten zu Geburtstagen und ähnliches. Aber Beneke wird auch gedruckt. Nicht alles hat er in den Beilagen zum Tagebuch gesammelt. Auf einiges wird auch nur hingewiesen. Da ist ein Artikel im Hanseatischen Magazin, auf den sich Smidt bezieht, der aber nicht selber abgelegt worden ist. Anders ein in drei Teilen veröffentlichter Artikel Ueber das deutsche Schauspiel in Hamburg, der Benekes Versuch zeigt, sich als Lokal- und Kulturpolitiker einen Namen zu machen. Als Entwurf liegen geblieben ist eine Erzählung (nach realen Gegebenheiten?) Der verhängnißvolle Cigarros. Darin berichtet Beneke von einer Schuhmachers-Familie in der Hamburger Vorstadt St. Georg, der ein gewissenloser Advokat eine grössere Summe Geldes mit einem juristischen Trick vorenthalten hat. Der Ich-Erzähler (Beneke selber?) sieht nur die Möglichkeit, an den preußischen König zu appellieren. Es dauert dann zwar ein Jahr, bis der reagiert, aber die Familie erhält ihr Geld. Die Ereignisse sind nicht datiert; der König wird nicht beim Namen genannt. Falls sich die Geschichte tatsächlich zugetragen hat, müsste es sich bei ihm, der da in einer Weise umschmeichelt wird, dass es dem Leser schon fast graut, um Friedrich Wilhelm III. handeln. Beneke scheint selber mit dieser gar plumpen Schmeichelei unzufrieden gewesen zu sein – jedenfalls ist der Text im Entwurfs-Stadium liegen geblieben. Anders ging es dem Hamburger mit einem Brief, den er an Kotzebue geschickt hatte, und von dem Auszüge im Freimüthigen erschienen. Kotzebue hatte sie einrücken lassen – ohne Beneke vorgängig um Erlaubnis zu fragen. Immerhin war er so nett, ihm nachträglich davon Mitteilung zu geben.
Beneke ist in den Jahren 1802 bis 1805 noch in einer Übergangsphase. Er wird in den Jahren, die die Abteilung II der Tagebücher abdeckt, zum Mann reifen. So kann man in Band II/4 noch nicht einmal sagen, dass die eigentlichen Tagebuch-Einträge interessanter sind als die Beilagen. An diesen ist vor allem interessant, was ein Mensch so für sammelnswert hält und beiseite legt.
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