John Kennedy Toole: A Confederacy of Dunces [[Ignaz oder] Die Verschwörung der Idioten]

Dieses Buch spaltet seine Leserschaft, wie kaum ein zweites. Eine recht große Zahl, denn es gilt als „Kult“, wie man so schön sagt, hält diesen Roman für den besten oder zumindest witzigsten des 20. Jahrhunderts. Andere finden ihn langweilig, weil sich die Figuren – allen voran der Protagonist Ignatius J. Reilly – über die ganzen 300+ Seiten nicht entwickeln, oder sie finden Reilly ganz einfach einen Unsympath, mit dem sie als LeserInnen keine Beziehung aufbauen können.

Letzteres lasse ich einfach so stehen; für mich braucht ein Protagonist nicht sympathisch zu sein, weil ich mit Romanfiguren so oder so keine Beziehung aufbauen will. Ein unsympathischer Protagonist impliziert also noch lange nicht einen schlechten Roman. Denn ja: Ignatius J. Reilly ist in höchstem Masse unsympathisch. Er ist fett, ungepflegt, seltsam gekleidet – und vor allem in höchstem Grade egoistisch: Er hasst und verachtet alle seine Mitmenschen. Er tyrannisiert seine Mutter – bei der er, mittlerweile 30 Jahre alt, immer noch lebt. Diese lässt es sich auch lange gefallen, bis sie, gegen Ende des Romans, gnadenlos zurückschlägt. (So viel zum Thema: Die Figuren des Romans machen keine Entwicklung durch. Tun sie sehr wohl, wie das Beispiel von Irene Reilly, der Mutter, zeigt.) Dabei ist Ignatius alles andere als dumm. Er hat das College absolviert (was alleine zwar noch kein Zeichen von Intelligenz ist) und davon eine Vorliebe für die mittelalterliche Philosophie zurück behalten. Sein Liebling allerdings ist Boëthius, in dessen Trost der Philosophie er immer wieder blättert, dessen Redensart vom Rad der Fortuna er immer wieder auf sich selber anwendet – und dessen Struktur der ganze Roman nachahmt.

Trotz seiner kompletten Misanthropie startet Ignatius immer wieder Projekte, um eine Revolution zu starten, z.B. den Arbeitern einer Jeans-Fabrik zu besseren Arbeitsbedingungen zu verhelfen. Er tut dies allerdings keineswegs aus konkretem Mitleid, sondern auf Grund abstrakter Überlegungen und hat dabei keineswegs die Arbeiter selber im Hinterkopf, sondern den Umstand, dass er seine Brieffreundin und ehemalige Studienkollegin Myrna damit beeindrucken will. Myrna ist die einzige Person, mit der er so etwas wie eine Beziehung eingegangen ist – eine Beziehung allerdings, die weder Freundschaft ist noch sexueller Natur. Myrna ihrerseits stammt aus New York, aus der Bronx. Offenbar jüdischen Ursprungs, ist sie die typische Intellektuelle der 1960er, die alles und jeden psychoanalysiert, jede Handlung auf sexuelle Grundmotive zurückführt. Gleichzeitig träumt sie davon, mit Sex die Massen zu revolutionieren. Ignatius‘ Projekte scheitern im Übrigen alle grandios, weil er – in seinem ganz speziellen Elfenbeinturm hausend – keine Ahnung davon hat, wie die Menschen seiner Umgebung wirklich ‚ticken‘.

Die Handlung spielt in New Orleans, einer Stadt, die Ignatius ein einziges Mal verlassen hat, um in Baton Rouge eine Stelle als Lehrer anzutreten. Ihm wurde auf der Reise im Überlandbus derart schlecht, dass er beschloss, auf der Stelle umzukehren – mit dem Taxi. Seitdem hat er New Orleans nicht mehr verlassen. Es macht einen nicht geringen Reiz des Romans aus, zu sehen, wie John Kennedy Toole, der selber aus New Orleans stammt, die verschiedenen Subkulturen der Stadt schildert (in der Form, wie sie vor dem Hurricane Katrina anzutreffen waren, das hat sich m.W. beim Neuaufbau der Stadt verändert). Da ist die ärmere weiße Unterschicht, zu der die Reillys gehören, und die sich über ihr Schicksal mit billigem Wein zu trösten pflegt, wie Irene Reilly. (Während Ignatius für den Trost Boëthius hat und lieber ein unterdessen vom Markt verschwundenes Getränk namens Dr. Nut zu sich nimmt. Es ist alkoholfrei, wie zu seinen Gunsten gesagt werden muss.) Da sind die Schwulen (die Ignatius auch zur Revolution anzustacheln versucht und ebenso grandios scheitert), die in New Orleans eine Art immer dauerndes Mardi Gras feiern. Die Schwarzen – ebenfalls Underdogs, die sich subtil an den Weißen schadlos zu halten verstehen. Das Rotlicht-Milieu in Form eines Strip-Lokals, wo die Stripperin absolut unbegabt und unsexy ist, und die Geschäftsführerin pornografische Bilder von sich macht, die nachher auf den Schulhöfen verkauft werden. Der Streifenpolizist, der endlich einen Verbrecher zu fassen kriegen sollte, wenn er seine Stelle behalten will, und der zum Schluss mehr aus Versehen die pornografischen Aktivitäten des Strip-Lokals aufdeckt. Schön dabei, wie Toole die verschiedenen Soziolekte der einzelnen ethnisch-ökonomischen Gruppen herüberbringen kann. Ich weiß nicht, wie das übersetzt werden kann.

Das Ganze ist eine riesige Farce, aber es gelingt Toole im Großen und Ganzen, die Übertreibungen gerade noch im richtigen Maß zu halten. Er macht sich über Schwule ebenso lustig wie über Schwarze, ohne je in billige Klischées zu verfallen. (Nur seine Darstellung der drei homosexuellen Frauen als eine Art Schlägertruppe halte ich für grenzwertig.) Ich würde jetzt nicht behaupten, A Confederacy of Dunces sei der witzigste Roman des 20. Jahrhunderts, aber einer der witzigeren ist er sicher. Amüsiert habe ich mich jedenfalls sehr.

Noch eine Bemerkung zu der in deutschsprachigen Kritiken kursierenden Behauptung, Ignatius J. Reilly sei schwul. Die ist, wenn ich das richtig sehe, aufgetaucht zusammen mit der Neuübersetzung des Romans durch Alex Capus vor ein paar Jahren, und ich fürchte, dass der Übersetzer daran schuld ist. Halten wir ein für alle Male fest: Ignatius J. Reilly ist nicht schwul. Er ist auch nicht heterosexuell. Es ist dem radikalen Misanthropen Ignatius schlicht und ergreifend gar nicht möglich, irgend einen Menschen sexuell attraktiv zu finden – egal welchen Geschlechts. Wenn er masturbiert (ja, er masturbiert!) drehen sich seine Phantasien um abstrakte geometrische Körper, nicht um junge Männer oder junge Frauen.

Und noch ein Wort zur Rüge der mangelnden Entwicklung: Ignatius J. Reilly entwickelt sich nicht, das ist richtig. (Ein paar Figuren in seinem Umfeld tun es allerdings sehr wohl.) Die Kritiker, die das monieren, haben, glaube ich, einen wichtigen Punkt überlesen. Zu Beginn der Geschichte – später wird das fallen gelassen – wird immer wieder auf Reillys Figur mit dem Begriff gargantuesk angespielt. Damit ist natürlich der Riese Gargantua in Rabelais‘ gleichnamigen Roman gemeint. Ähnlich wie Don Quijote war auch Gargantua zunächst einmal eine Parodie auf die damals omnipräsenten (und sehr, sehr schlechten!) Ritterromane. Gargantua erlebt darin eine Reihe von Abenteuern in der Welt. Entwickelt er sich dabei? Eben. Weshalb also sollte sich Ignatius J. Reilly, der Gargantua des 20. Jahrhunderts, entwickeln? Der Reiz solcher Romane liegt gerade darin, dass die Hauptfigur sich immer gleich bleibt. (Und, weil wir den Ritter von der traurigen Gestalt schon erwähnt haben: Reilly ist nicht nur Gargantua, er ist auch Don Quijote in seiner grandiosen Fehleinschätzung jeder Situation um ihn herum. Das sind die Bezugspunkte von A Confederacy of Dunces, nicht der Entwicklungsroman des 20. Jahrhunderts.)

Der Titel stammt übrigens aus einem Epigramm des irischen Satirikers Jonathan Swift: When a true genius appears in the world, you may know him by this sign, that the dunces are all in confederacy against him. Eine Aussage, die Ignatius J. Reilly natürlich noch so gern auf sich bezieht, hält er sich doch für allen Figuren seiner Umgebung überlegen. (Und ist es, in einem gewissen Sinne, ja auch.)

Fazit: Sehr amüsant, voller herrlicher kleiner Details. Aber wahrscheinlich – wie Ignatius J. Reilly selber – nicht für die große Masse der Leser- und Kritikerschaft. Was eigentlich schade ist.

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