Konfuzius: Gespräche (Lun Yü)

Konfuzius hat es im Westen – im Gegensatz zu zum Beispiel Buddha – nie zu Popularität gebracht. Ja, selbst im Osten ist seine Philosophie – mit, wenn ich mich nicht irre, der Ausnahme Koreas – nicht über die Grenzen seiner Heimat China hinausgekommen. Hier allerdings genoss er eine Zeitlang nahezu göttliche Verehrung. Selbst Mao, der den erzkonservativen Anhänger einer feudalistischen Politik als solchen alles andere als mochte, kam nicht umhin, ihn zumindest teilweise in Ehren zu behalten. Denn die mit Konfuzius einsetzende Gleichsetzung von (ethisch) richtigem Verhalten mit Dienst am und im Staat konnte selbstverständlich auch das maoistische China verwenden.

Dies gesagt, wird auch – hoffe ich – klar, warum Konfuzius kaum über die chinesische Grenzen populär werden konnte. In keiner anderen Gesellschaft – selbst nicht im feudalen Europa – waren die Selbstaufgabe und die Gleichsetzung von individuellem Verhaltenskodex mit den Zielen des Staats auch nur ansatzweise so ausgeprägt wie über Jahrhunderte in China. In Europa zum Beispiel stand nur schon der Umstand im Weg, dass die herrschende Religion des Christentums von Anfang an und immer mal wieder in absolutem Gegensatz zum Staat gestanden hatte und stand, während in China der Taoismus mit seinen ausgeprägten Ritualen ohne Probleme in den Dienst des Staates genommen werden konnte (und auch wurde).

Auch in Sachen Religion war Konfuzius konservativ. Er folgte der Lehre des Wegs, ohne sie zu hinterfragen. Sie war ja für ihn oft das einzige Staatsstützende und den Staat Erhaltende in seiner Gegenwart. Konfuzius war kein Religionsstifter – so wenig, wie er Philosoph im modernen europäischen Sinn war. Er verfolgte eine gewisse Lebensform, die er auch lehrte – hierin am ehesten noch den antiken griechischen Philosophen gleichend, die bis und mit etwa Platon in ähnlicher Weise Schüler um sich versammelt hatten. Mit Platon hat Konfuzius auch gemeinsam, dass er aktiv ein Wirken im Staat suchte, es zeitweise auch erhielt, aber immer wieder von selbstbezogenen, opportunistischen Kräften aus dem Einflussbereich der Fürsten entfernt wurde. Zu seinen Lebzeiten sah es denn auch nicht so aus, als ob es je so etwas wie einen staatlich gestützten Konfuzianismus geben würde, der das ganze chinesische Denken beeinflussen könnte. Erst seine Schülersschüler erschufen den Rang und die hohen Ehren, die man dem Meister postum zukommen ließ.

Anders als Platon (aber hierin dessen Lehrer Sokrates gleichend) hat Konfuzius seine Lehre nirgends schriftlich festgehalten. Was wir haben sind – aus westlicher Sicht relativ unsortierte – Erinnerungen an Aussagen, die er (oder auch seine engsten Schüler) getroffen haben soll. In diesen Sentenzen zeigt sich Konfuzius als Vertreter einer rigorosen Pflichtethik, wie ihn die westliche Philosophie wohl erst bei Kant mit einem ähnlichen Einfluss erlebt hat. Viele der von Konfuzius verfochtenen Pflichten und Prinzipien werden wir Europäer als rein äußerliche Verhaltensnormen betrachten – aber mehr noch als Kant war Konfuzius davon überzeugt, dass ein Einhalten äußerlicher Normen auch zu einem sittlich-moralisch einwandfreien Wesen verhelfe.

Was einen Philosophen im heutigen westlichen Sinn sonst noch ausmacht – Metaphysik, Ontologie, Erkenntnistheorie etc. – interessiert Konfuzius nicht. Hierin war er wiederum völlig anders als die alten Griechen, wiederum am ehesten Sokrates gleichend. Ebenfalls wie Sokrates sagte ihm die Naturphilosophie nichts. Sokrates wie Konfuzius nahmen die Welt zunächst einmal, wie sie war. Ihr Ziel war es, zu klären, wie man am besten (d.h.: am sittlichsten, moralisch einwandfreisten!) in dieser Welt sich bewegen sollte. Dass man nicht nur sich selber, sondern auch die Welt verbessern sollte, war für beide wohl ein notwendiges Korrelat.

Über den Privatmann Konfuzius erfahren wir wenig in den Gesprächen. Er liebte offenbar die alte chinesische Schau-Musik (in Wilhelms Umschrift, damit ist nicht das deutsche Wort „Schau“ gemeint, sondern „Yayue“ (雅樂), elegante Musik, eine antike Form des Musizierens, die Konfuzius noch kannte, die aber seither verschwunden ist), die seiner Meinung nach zusammen mit den Gesetzen und den Ritualen die perfekte formale Darstellung der politischen Macht einer Feudal-Aristokratie war und die offenbar im Stande war, ihn auch emotional zu berühren.

Seine bevorzugte Lektüre war das Buch der Wandlungen, I Ging, in dem er immer wieder las. (Es eignet sich auch perfekt dafür, in seinen rätselhaften Aussprüchen nach immer neuem Sinn zu suchen.)

Ich habe das Buch in der alten Übersetzung von Richard Wilhelm gelesen. Sie mag in Teilen zu kritisieren sein und heute überholt – es ist die Übersetzung, die Konfuzius dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht hatte. (Wie natürlich auch so viele andere alte chinesische Text, z.B. das schon genannte I Ging … )

Ich denke, eine Auseinandersetzung mit Konfuzius kann auch im 21. Jahrhundert helfen dabei, das Wesen und Handeln der aktuellen chinesischen Führung zu verstehen.

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