Jean Racine: Bérénice

Links ein dünner, violetter Streifen, rechts auf weißem Hintergrund ein farbig gezeichneter Frauenkopf, halb verdeckt durch einen roten(!) Lorbeerkranz. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Im November 1670 kamen im Abstand von nur wenigen Tagen zwei neue Dramen zum Thema der Liebesgeschichte von Berenize und Titus auf die Bühne. Das eine, nur um wenige Tage früher uraufgeführte, stammte von Jean Racine und hieß einfach Bérénice, das andere war von Pierre Corneille und nannte sich Tite et Bérénice. Denselben kurzen Abstand untereinander hatten die beiden Stücke auch im kurz auf die Uraufführung folgenden Druck; auch hier war Racine der schnellere.

Die Geschichte von Titus und Berenize ist höchst wahrscheinlich historisch; jedenfalls wird sie auch von den antiken römischen Geschichtsschreibern überliefert. (Was natürlich noch keine völlige Sicherheit bedeutet; die antiken Historiker füllten gern Lücken im Lebenslauf der Kaiser und verwendeten auch oft Gerüchte und gar üble Nachreden – teils, weil sie es nicht besser verstanden, teils auch aus mehr oder weniger bösem Willen.) Das Gerüst der Geschichte lässt sich wie folgt zusammenfassen: Titus, der Sohn des römischen Kaisers Vespasian hat auf den palästinensischen Feldzügen, die er zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder Domitian durchführte, die hasmonäische Königin Berenize kennen und lieben gelernt. Die Liebe war gegenseitig, und als Titus zurück nach Rom gerufen wurde, weil sein Vater im Sterben lag und er den Kaiserthron übernehmen sollte, kam Berenize mit ihm. Doch die Liebesbeziehung scheiterte an der politischen Realität. Der Kaiser als Führer des römischen Staats durfte nur mit einer Bürgerin Roms verheiratet sein. Dieses Problem war zwar noch von Vespasian aus dem Weg geräumt worden, als er Berenize das römische Bürgerrecht verliehen hatte. Die römische Verfassung aber (oder was seine Stelle einnahm) verbot auf das Strikteste, dass je ein König (oder eben eine Königin) wieder den Staat leiten sollte. Berenize und Titus trennten sich, sie kehrte zurück in ihre Heimat und verschwand aus der Geschichte Roms und damit der Weltgeschichte, wie wir sie kennen.

Wir haben von dieser Liebesgeschichte im Blog schon einmal gesprochen, zusammen mit deren Behandlung durch Racine, nämlich nämlich bei der Vorstellung des biografischen Romans An Liebe stirbt man nicht [Titus n’amait pas Bérénice] von Nathalie Azoulai. Die Autorin hat darin auch parallel zur Biografie Racines von der gescheiterten Liebe einer modernen Berenize erzählt, deren Geliebter Titus sie verlässt, um wieder zu seiner rechtmäßigen Frau Roma und seinen Kindern zurück zu kehren.

Wir sind es aus der Geschichte der deutschen Literatur gewöhnt, dass die großen Dramatiker der Klassik, Goethe und Schiller, nach anfänglichen Animositäten zu einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit und Freundschaft fanden. Anders in Frankreich, wo die Klassik rund 125 Jahre früher stattfand, zur Zeit des Sonnenkönigs Louix XIV, im Barock. Es existierten als Gradmesser des Erfolgs im Grunde genommen nur Paris und der Königshof. Lange Zeit war Pierre Corneille der unangefochtene Dramatiker der Zeit, und Jean Racine, 33 Jahre jünger, machte harte Zeiten durch beim Versuch, den älteren von diesem Thron zu stossen. 1670 war es dann schon so weit, dass Racine unbeschränkten Zutritt zu Colbert, dem damals allmächtigen Minister Louis’ XIV hatte. Wer auf die Idee gekommen war, die beiden Titanen gleichzeitig mit einem Stück zum Thema ‚Titus und Berenize‘ aufeinander zu hetzen, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.

Jedenfalls endete die Konfrontation mit einem Sieg nach Punkten Racines. Das Pariser Publikum strömte in Scharen zu den Aufführungen von Bérénice und selbst der König wünschte eine Aufführung des Stücks an seinem Hof. Racine würde das Stück später im Druck eine Tragödie nennen, aber ein Vorwort hinzufügen, in dem er rechtfertigte, warum ein Stück, in dem kein einziger Todesfall vorkam (wenn wir den vor Beginn der Handlung erfolgten und keineswegs ‚tragischen‘ Tod Vespasians ausnehmen), dennoch eine Tragödie heißen konnte (nämlich, unter anderem, weil er sich streng an die drei Regeln des Aristoteles gehalten habe: Einheit des Ortes, der Zeit und des Raums). Auch diese poetologische Selbsterklärung war natürlich gegen Corneille gerichtet. Im Übrigen folgte Racine in seiner Darstellung des Schicksals der Berenize dem diesbezüglichen Bericht Suetons. Der wiederum scheint sich aus zwei Quellen zu speisen, denn einerseits schildert er den jungen Titus als Tuchnichtgut (der deshalb auch die Liebschaft eingegangen ist mit der etwas älteren und vielleicht gar jüdischen Berenize), der sich aber im Moment der Machtübernahme reformierte und zu einem vorbildlichen Herrscher wurde. Diesem Bild folgt auch Racine, der seinen Titus einmal andeuten lässt, dass er sich als junger Mann von Nero zu Ausschweifungen habe verführen lasse, das aber nun vorbei sei. (Dieses Bild des Titus ist wohl auch literarischen Motiven zuzuschreiben. Nach dem Bösewicht Nero, der zuerst ein guter Kaiser war, musste ein Kaiser folgen, der zunächst Übelstes ahnen liess, sich dann aber als guter Kaiser entpuppte. Außerdem war Titus für Sueton auch die Folie, vor deren Hintergrund der ‚böse‘ Domitian gestellt werden konnte – Domitian, den die römischen Historiker, die allesamt dem Senatorenstand entstammten, wohl vor allem deshalb verunglimpften, weil er, anders als sein Bruder, in den Regierungsgeschäften den Senat völlig überging. Es ist auch zu sagen, dass Titus nur knappe zwei Jahre regierte – viel zu wenig Zeit im Grunde genommen, um wirklich Übles anstellen zu können.)

Racine konzentriert sich seinerseits in seinem Stück auf zwei Dinge. Da ist die Schilderung der Liebesschmerzen von Bérénice. Sie leidet (und Nathalie Azoulai hat im Leiden ihrer Bérénice in der Gegenwart diese Liebesschmerzen abermals ausgeführt). Erst in der allerletzten Szene ringt sie sich zur Entsagung durch. Das klingt schon fast kitschig, und tatsächlich war ein großer Teil des Erfolgs von Bérénice der Tatsache geschuldet, dass vor allem weibliches Publikum in Scharen ins Theater strömte, um sich beim Liebesleid der Bérénice so richtig ausweinen zu können.

Das klingt eher abschreckend. Allerdings weist das Stück in Gestalt des Antiochus, eines weiteren Königs aus dem Vorderen Orient, eine sehr interessante Nebenfigur auf. Er wird eingeführt als der beste Freund des Titus und von diesem immer wieder für vertrauliche Mitteilungen an Bérénice gebraucht. Nun ist er aber selber in Bérénice verliebt – und so haben wir hier die zumindest aus heuitger Sicht viel interessantere Situation eines Menschen vor uns, der hin und her gerissen ist zwischen seiner Loyalität zum Freund und der Liebe zur gleichen Frau wie dieser – eine Liebe, die (wie er rasch einsieht) hoffnungslos ist. Dennoch lässt er sich von seinem Vertrauten immer wieder dazu verführen, Hoffnung zu schöpfen, wenn Titus wieder dieses oder jenes Strategem anwendet, um Bérénice oder auch das römische Volk und die Senatoren zu manipulieren, während es den Zuschauenden völlig klar ist, dass die (psychologische) Reaktion vor allem der Bérénice eine völlig andere sein wird, als was er und sein Vertrauter sich erhoffen.

Ich würde das Stück gerne einmal aufgeführt sehen, mit einem wirklich guten Darsteller des Antiochus.


Gelesen habe ich es in folgender Version:

Jean Racine: Bérénice / Pierre Corneille: Tite et Bérénice. Présentation et notes de Dominique Moncond’huy. Paris, La Table Ronde, 1998.

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