Raimund Schulz: Die Antike und das Meer

Vorliegendes Buch (erschienen dieses Jahr, 2024) ist der legitime Nachfolger des mit Preisen überhäuften Titels Abenteurer der Ferne vom selben Autor. Allerdings glaube ich nicht, dass auch dieses Buch mit so vielen Preisen bedacht werden wird. Nicht, weil es schlechter wäre, sondern einfach, weil es seinem Vorgänger doch sehr ähnelt. Es geht hier abermals um…

Jean-Yves Tadié: Marcel Proust I

Jean-Yves Tadié ist der Doyen der französischen Proust-Forschung, und die vorliegende Biografie zu Marcel Proust gilt nach wie vor als Standardwerk. Sie ist mit rund 1400 Taschenbuch-Seiten sehr umfangreich, weshalb sie denn auch von Gallimard für die Collection Folio auf zwei Bände aufgeteilt wurde, mit den Nummern 3213 und 3214. Erstmals erschien sie 1996, vor…

Rachilde: Nein, ich bin keine Feministin [Pourquoi je ne suis pas féministe]

Rachilde, homme de lettres, so will es das Gerücht, habe auf den Visitenkarten der jungen Schriftstellerin Marguerite Eymery gestanden. (‚Homme‘ hat hier die Bedeutung nicht eines Menschen sondern des Mannes – Frauen nannten sich üblicherweise ‚femme de lettres‘.) Das war die Zeit, als sie Männerkleider trug und auch in ihren literarischen Werken Fragen der geschlechtlichen…

Leconte de Lisle: Poèmes barbares

Barbarische Gedichte – damit ist nicht Lyrik gemeint, die schlecht gefügt ist, brutale bzw. unanständige Themen präsentiert oder was wir auch immer an Negativem mit dem Wort ‚barbarisch‘ verbinden. Im Gegenteil: Auch wenn Leconte de Lisle manchmal (selten!) den Reim etwas erzwingt (zum Beispiel ein kurzes ‚o‘ auf ein langes reimt), so sind hier doch…

Jean Racine: Bérénice

Im November 1670 kamen im Abstand von nur wenigen Tagen zwei neue Dramen zum Thema der Liebesgeschichte von Berenize und Titus auf die Bühne. Das eine, nur um wenige Tage früher uraufgeführte, stammte von Jean Racine und hieß einfach Bérénice, das andere war von Pierre Corneille und nannte sich Tite et Bérénice. Denselben kurzen Abstand…

Charles-Augustin Sainte-Beuve: Pour la critique

Vom Titel dieses Buches gibt es keine deutsche Übersetzung, ganz einfach, weil es keine deutsche Version vom Buch gibt. Ich habe, offen gestanden, nicht einmal nachgeschaut, ob es von Sainte-Beuve überhaupt etwas auf Deutsch gibt. Was wir hier aber auf Französisch vor uns haben, ist eine Zusammenstellung verschiedener Essays, die Charles-Augustin Sainte-Beuve im Laufe seines…

Marcel Proust: Die fünfundsiebzig Blätter und andere Manuskripte aus dem Nachlass [Les soixante-quinze feuilles et autres manuscrits inédits]

Was mich an den fünfundsiebzig Blättern am meisten irritiert, ist nicht deren Inhalt sondern deren Überlieferung. Genauer: die Reaktion von Literaturwissenschaft und -kritik auf die Art und Weise, wie die Blätter auf uns gekommen sind. Noch genauer: deren Nicht-Reaktion. Folgendes nämlich ist geschehen, gemäß einer Vorbemerkung ohne Titel auf Seite 7 meiner Ausgabe: 1949 betraute…

Sarah Bakewell: Wie soll ich leben? oder Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten

Von Sarah Bakewell haben wir hier schon ein paar Mal Bücher vorgestellt: Ihr Buch über die französischen Existenzialisten (v.a. Sartre und Beauvoir) gleich zwei Mal – einmal besprochen von scheichsbeutel, das andere Mal von mir. Und auch das vorliegende Buch über Montaigne hat scheichsbeutel ausführlich rezensiert. Dass ich es hier noch einmal tue, hat seinen…

Marcel Proust: À la recherche du temps perdu VII. Le temps retrouvé (2) [Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die wiedergefundene Zeit]

Nun hat er sie also wieder gefunden, unser Ich-Erzähler – die Zeit nämlich, die ihm verloren ging, weil er nach eigenem Bekunden lieber faul herumlag oder sich als Salonlöwe gerierte. Gerade erst noch, vor ein paar Seiten, war er an seiner Begabung zum Schriftsteller verzweifelt – nun, am Schluss des Buchs und damit des Romans,…

Alain Claude Sulzer: Doppelleben

Doppelleben hat nicht nur doppelte Doppelkonsonanten, es hat auch einen Doppelsinn. Da ist einmal die Bedeutung, die wir ihm im Allgemeinen zulegen, wenn wir von einer Person sagen, sie führe ein Doppelleben. Gegen außen, die Nachbarn und die Chefin, bieder und brav, frequentiert diese Person nachts übelste Kaschemmen oder verzockt ihr Geld online im Kartenspiel….