Werner Bergengruen: Der Großtyrann und das Gericht

Ich habe von Bergengruen vorzeiten einige Novellen gelesen – ohne mich an Inhalt oder Stil erinnern zu können. Der vorliegende Roman ist sein bekanntestes Werk, es wurde – u. a. – als eine Kritik am Nationalsozialismus verstanden (allerdings hat sich mir nach der Lektüre in keinster Weise erschlossen, warum dem so sein sollte).

In der Stadt Cassano (es gibt zwar eine Stadt dieses Namens in Kalabrien, aber sie dürfte nicht als Vorbild für den Roman gedient haben, es handelt sich wohl um einen fiktiven Ort in Oberitalien) wird ein Mord an einem mit politisch-diplomatischen Aufgaben betrauten Franziskaner begangen: Dieses Ereignis ist Ausgangspunkt für gesellschaftliche Verwerfungen und Intrigen in allen Schichten. Eine Art Polizeichef (Nespoli) wird mit der Lösung des Falles betraut und bekommt vom absolut herrschenden Großtyrann für diese Aufgabe drei Tage Zeit. Ansonsten droht ihm – wenn auch nie direkt ausgesprochen – ein Verlust seiner mächtigen Position, möglicherweise sogar der Tod. Seine unzulänglichen Versuche sich des Auftrages zu entledigen lösen eine Kaskade von Verdächtigungen und Betrügereien unter der Bevölkerung aus, der ganze Ort wird von Unruhe erfasst, Testamente und Schuldbekenntnisse werden gefälscht, Beziehungen zerbrechen, das gesamte Gesellschaftsgefüge gerät in Unordnung.

Schließlich findet sich ein Färber, der als religiöser Schwärmer bekannt ist und übernimmt die Schuld, um der Stadt wieder Ruhe zu verschaffen. Bei der Verhandlung, der der Großtyran vorsteht, stellt sich die Vermutung des Lesers, dass es ebendieser Großtyrann war, der den Mord begangen hat, als richtig heraus. Dem Herrscher war es um ein soziales Experiment zu tun, doch seine anfängliche Souveränität schwindet zusehends und er bekennt seine Schuld – nicht nur an der Tötung des Franziskaners, sondern auch an der Zerrüttung des Gemeinwesens.

Das Aufzeigen der Korrumpierbarkeit einer Gesellschaft durch Angst, Druck und Verunsicherung ist durchaus gelungen, wenn auch nicht immer ganz klischeefrei gezeichnet. Mit beachtlichem psychologischen Feingefühl werden die Entwicklungen und Veränderungen im Charakter der involvierten Personen aufgezeigt, man ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht und ebenso darauf, seine gesellschaftliche Stellung nicht zu verlieren. Von der vorgeblich stolzen und aufrichtigen Haltung zum Duckmäusertum und unterwürfiger Schmeichelei ist es ein kurzer Schritt (einzig der Weg des Großtyranns vom zynischen Herrscher zum bekennenden Schuldner ermangelt ein wenig an Plausibilität).

Trotz dieser eigentlich gelungen Darstellung lässt mich das Buch stirnrunzelnd zurück: Bergengruen scheitert nach meinem Dafürhalten an dem ihm eigenen Sprachduktus, der originell zu sein wünscht, aber im Grunde als ein permanentes Verunglücken erscheint. Wortkonstruktionen, Formulierungen wirken bemüht und wenig eingängig, so als ob ein Altphilologe des 19. Jahrhunderts sich auf die Romanschriftstellerei geworfen hätte. Ein wenig altertümelnd und an klassischer Literatur sich orientierend, aber nie wirklich treffend und prägnant, sondern immer und mit erstaunlicher Treffsicherheit am Ziel vorbei. Ich kann mich – wie erwähnt – der vor langer Zeit gelesenen Novellen nicht mehr erinnern: Nehme mir aber vor anhand anderer Bücher diese seltsame sprachliche Verirrung zu überprüfen.


Werner Bergengruen: Der Großtyrann und das Gericht. München: Nymphenburger Verlagsbuchhandlung 1957.

Ansichten seit Veröffentlichung bzw. 17.03.2025: 3

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