Jean Paul: Siebenkäs

Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel – so lautet der Titel dieses Romans von Jean Paul in extenso. Eigentlich wollte Jean Paul eine Sammlung ungefähr gleich langer Satiren, Idyllen etc. veröffentlichen – eben Blumen-, Frucht- und Dornenstücke. Doch Siebenkäs nahm Überhand und drückte die übrigen Stücke an den Rand, in die Vergessenheit. Soweit, dass es Ausgaben des Siebenkäs gibt, denen die übrigen Stücke gar nicht mehr beigelegt sind. Eine Ausnahme gibt es allerdings, auf die werde ich noch kommen.

Die Geschichte von Siebenkäs‘ Ehe, Tod und Hochzeit – die er ungefähr in dieser Reihenfolge durchleben wird – wurde von Jean Paul auf dem Gipfel seiner literarischen Laufbahn geschrieben, Gipfel zumindest, was den Erfolg beim Publikum betraf. Auch das schriftstellerische Können Jean Paul ist nun ausgereift, sein Stil der Digression blüht, ohne, wie noch in der Unsichtbaren Loge und z.T. noch im Hesperus, die Geschichte zu überwuchern. Gut, auch im Siebenkäs ist die Geschichte, der Plot, für Jean Paul nur ein lockerer Ariadne-Faden im Labyrinth der Situationen, die er darstellen will. Im Grunde genommen besteht Jean Pauls Kunst darin, Momentaufnahmen von Befindlichkeiten zu liefern. Dafür nimmt er ohne mit der Wimper zu zucken auch grössere logische Löcher in der Konstruktion seines Plots in Kauf. Nehmen wir den Siebenkäs: Der Armenadvokat Siebenkäs heiratet die Hutmacherin Lenette. Beide sind mausarm, beide aber haben sich bisher problemlos durchs Leben geschlagen. Kaum sind die zwei verheiratet, erlebt der Leser, wie sie völlig verarmen, Stück um Stück vom Haus- und Küchengerät versetzen müssen, um wieder ein paar Tage essen zu können. Warum dem so sein soll, leuchtet nicht ein, haben die beiden doch als Unverheiratete ihr Leben durchaus fristen können. Nicht einmal ein grössere Wohnung hat Siebenkäs bezogen. Doch genau um diese Motivierung geht es Jean Paul – nicht. Er braucht das Resultat: die Verarmung.

Denn – und hier leistet er nun Grosses, ein echter Schüler von Karl Philipp Moritz – in dieser Situation kann er nun genauestens beschreiben, wie die von Anfang an nicht gerade riesige Liebe (jedenfalls bei Lenette, Siebenkäs machte sich da länger eine grosse Liebe vor) an der brutalen Realität zerbricht. Jean Paul versteht es, die Gefühle und Regungen seiner Hauptpersonen, den Neid, das schlechte Gewissen, die Eifersucht, den Ärger, die Wut, das Aufbegehren, aber auch das Zusammensinken aller Gefühle, die kalte Gleichgültigkeit gegenüber dem jetzt ungeliebten Partner fein darzustellen. Dabei verteilt er die „Schuld“ feinsäuberlich auf beide Teile (wohl mit ein Grund für seinen Erfolg beim weiblichen Publikum, das sich von Jean Paul verstanden und ernst genommen fühlte).

Doch Siebenkäs wäre keine Figur aus Jean Pauls Puppenkiste, wenn er tatsächlich Siebenkäs wäre. Er ist aber tatsächlich Leibgeber. Leibgeber nämlich heisst sein Busenfreund, der ihm körperlich und geistig äusserst ähnlich ist (nur, dass Leibgeber hinkt). Die beiden Freunde haben vor Jahren ihre Namen getauscht. Leibgeber taucht nun nach langer Zeit wieder auf und entwickelt auch bald einen Plan zur „Rettung“ aus der verfahrenen Situation. Siebenkäs soll pro forma sterben und eine Stelle beim Grafen von Vaduz annehmen, die dieser eigentlich Leibgeber angeboten hatte. Zu diesem Zweck soll Siebenkäs wieder den Namen „Leibgeber“ annehmen. In der Zwischenzeit taucht dann auch noch eine Natalie auf, in die sich Siebenkäs unsterblich verliebt. Leibgebers Plan wird ausgeführt, und so können sich Siebenkäs und Natalie zum Schluss der Geschichte in die Arme sinken.

Das klingt nach Happy End, doch Jean Pauls Happy Endings sind brüchig und voller Zweifel. Denn, um zu diesem Happy Ending zu gelangen, geht Siebenkäs buchstäblich über Leichen. Da ist zuerst seine eigene, mit der er zugleich noch einen Versicherungsbetrug verknüpft, um Natalie einen Batzen Geld zukommen lassen zu können. Durch seinen fingierten Tod wird Lenette zu einer fiktiven Witwe – einer echten allerdings ihrer Meinung nach. Sie heiratet den gemeinsamen Freund, den Schulrat Stiefel. Dass sie damit de facto Bigamistin wird, ist ihr ja nicht bewusst. Umso bewusster ist sich dessen Siebenkäs, den auch sein Leibgebertum nicht davon entbindet, sich nach wie vor verheiratet zu fühlen, und der deshalb schweren Herzens auf Natalie verzichtet. (Wie überhaupt im Laufe der Geschichte Siebenkäs und Leibgeber, die zu Beginn noch praktisch austauschbar erscheinen, gerade im und durch den tatsächlichen Tausch der Identitäten, eine immer stärkere eigene entwickeln, indem Leibgeber zum Zyniker wird, zum Mann mit harter Schale und weichem Kern, während Siebenkäs empfindsam weich gegen innen wie aussen bleibt. Wir können anhand von Siebenkäs und Leibgeber studieren, wie sich Jean Pauls Motiv des Doppelgängers entwickelt, wie sich das eine Ei der Zwillinge abschnürt und ein zweites, vom ersten verschiedenes Ich entsteht, wie wir es dann in den Flegeljahren mit Walt und Vult vor uns haben werden.) Doch auch das Hindernis „Lenette“ entfernt der Autor – und zwar auf recht brutale Weise, indem er Lenette in ihrem ersten Kindbett mitsamt der Tochter sterben lässt. Und Siebenkäs und dem Leser dann noch so recht das Messer in der Wunde herumdreht, indem er Lenette auf dem Sterbebett sich aufs Wiedersehen mit Firmian freuen lässt. Die letzte der Leichen übrigens, über die Siebenkäs gehen muss – auch wenn er erst im Titan wirklich zur Leiche werden sollte -, ist Leibgeber, den er nicht mehr sehen wird, nicht mehr sehen kann, da er ja nun (wieder) Leibgeber ist, während dieser nun nicht nur heimat-, sondern auch namenlos geworden ist. Ein recht dorniges Happy End also.

Wie schon oben gesagt, sind die übrigen Blumen-, Frucht- und Dornenstücke mit einer Ausnahme der Vergessenheit anheim gefallen. Diese eine Ausnahme ist die Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei, ein kurzer apokalyptisch-visionärer Traum vom Untergang der Welt ohne einen Gott. Bezeichnenderweise zählt Jean Paul diesen Text als Blumenstück. Es ist die beklemmende Vision einer Welt, die sich einen metaphysischen Hintergrund, einen Gott wünscht und keinen findet. Verlorenheit und Angst sind das Resultat.

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