Thomas Robert Malthus: An Essay on the Principle of Population as it Affects the Future Improvement of Society with Remarks on the Speculations of Mr Godwin, M. Condorcet, and other writers [Das Bevölkerungsgesetz]

Gelesen in der Version von 1798; Oxford University Press, 2008.

Malthus gilt als erster Vertreter der klassischen politischen Ökonomie, dieses Werk als dessen erster Ausdruck. Veranlassung dazu war ein in England geplantes Gesetz zur öffentlichen Unterstützung der Armen, bzw. eine Diskussion unter Freunden darüber, bei der Malthus merkte, dass er seine Gedanken zum Thema nicht so einfach mündlich eröffnen konnte, sie also schriftlich niederlegte. In der schriftlichen Version setzte er sich dann auch noch mit einer Schrift William Godwins1) auseinander, der die unablässige Verbesserungsfähigkeit des menschlichen Verstandes und so der Menschheit im Allgemeinen postuliert hatte.

Der Pessimist Malthus vermag nicht an diese Verbesserungsfähigkeit glauben. Überhaupt ist ‘Glauben’ für ihn fehl am Platz, wenn es um Fakten und um Zahlen geht. Und was die Fakten und Zahlen betrifft, hat er die meisten davon auf seiner Seite. Er kann nachweisen, dass die Bevölkerung explosionsartig wächst, wenn die Ressourcen dazu vorhanden sind – extrem so in den damals stark unterbevölkerten, gerade selbständig gewordenen USA, aber auch überall in Grossbritannien, wo gerade durch Seuchen oder ähnliches eine Situation der Unterbevölkerung herrscht. Diese Explosion stoppt dann allerdings nicht bei der gerade richtigen Zahl; mehr und mehr Leute kommen hinzu, bis eine Situation der Überbevölkerung herrscht: zu viele Menschen, zu wenig Esswaren. Resultat sind Armut, Hungersnöte – die die Einwohner eines Landstriches so lange quälen, bis deren Zahl so weit dezimiert ist, dass wieder mehr Ressourcen als Verbraucher existieren. Dieses Auf und Ab hält Malthus für unausweichlich2).

Wenn also, so seine politische These, nun den Armen und Ärmsten Ressourcen in Form von Geld zur Verfügung gestellt werden, werden diese nicht aufhören, sich zu vermehren. Diese Vermehrung weist eine höhere Rate auf als die gleichzeitig mögliche Vermehrung der Ressourcen in Form von Lebensmitteln. (Hier haben wir eine Schwäche von Malthus’ Theorie vor uns: Er postuliert sogar ein mathematische Funktion als Zusammenhang – ohne das beweisen zu können.) Das Resultat ist eine Knappheit von Lebensmitteln, ergo eine Entwertung des Geldes, die sich in einer Teuerung auswirkt. Das Resultat der Teuerung wiederum ist, dass noch mehr Menschen zu wenig Geld haben, um sich Lebensmittel leisten zu können. Noch mehr Menschen müssen also finanziell unterstützt werden – ein Teufelskreis. Malthus Folgerung: Das neue Gesetz wäre gar kontraproduktiv!

Malthus war keineswegs einfach der hartherzige Rechte, als der er hin und wieder dargestellt wird. Er sah ein Dilemma, und er sah keinen Ausweg daraus. Offenbar war die Natur so eingerichtet, dass sie Bevölkerungszahl und Armut bzw. Reichtum nur über solche Schwankungen regulieren konnte. Ein Punkt allerdings, in dem seine konservative Weltanschauung seine Theorie beeinflusste, war die Tatsache, dass er jede Form von Empfängnisverhütung (und es waren schon damals einige bekannt!) strikt als unmoralisch ablehnte. Deshalb konnte er die heutige Situation in den westlichen Industriestaaten nicht vorhersehen, wo, wer seinen Lebensstandard halten will, auf Kinder verzichtet, oder deren Zahl einschränkt, so dass die Bevölkerungszahl dieser Staaten stagniert bzw. zurückgeht (oder der Staat mittlerweile auf Zuwanderung angewiesen ist).

Den Schritt, den Darwin (und wenig später – unabhängig von ihm – auch Wallace!) getan haben von dieser ökonomischen Theorie zu einer biologischen, nämlich der Evolutionstheorie, scheint mir – jedenfalls in der mir vorliegenden Form des Essay von 1798 – recht gewagt. Malthus hat in späteren Auflagen den Essay allerdings ziemlich überarbeitet. Vielleicht haben die beiden solche spätere Auflagen gelesen, die stärkere Hinweise auf eine Evolution der Arten, eine Anpassung der Arten an die Umwelt enthalten. In der Version von 1798 finde ich wohl die biologisch verankerte Gesetzmässigkeit, dass eine Population sich so lange ausbreitet, wie sie dafür Ressourcen findet, dann wieder schrumpft, bis ihre Ressourcen nachgewachsen sind – eine Entwicklung und Anpassung der Arten ist darin noch nicht enthalten. Allenfalls kann ich darin die Möglichkeit finden, dass eine Art, um ihre Zahl zu erhalten oder gar vergrössern zu können, auf andere Ressourcen ausweicht, gar durch Anpassung lernt, weitere Ressourcen nutzen zu können (ersteres übrigens Godwins Antwort auf Malthus). Wahrscheinlich aber waren Darwin wie Wallace einfach intelligenter und imaginativer als ich…

Lesenswert als Grundlage aller modernen politischen Ökonomie auf jeden Fall. Malthus’ Realismus (den man Pessimismus nennen mag oder Menschenverachtung) muss auch heute noch in jedem Fall widerlegt werden.


1) Es handelt sich hier tatsächlich um jenen Godwin, der auch die Verbesserung der Situation der Frauen gefordert hatte und der mit der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft verheiratet war – mithin um den Vater der Dichterin Mary Shelley und den Schwiegervater des Dichters Percy Bisshe Shelley. Letzterer trat in der späteren Auseinandersetzung um Malthus’ Essay brav auf die Seite des Schwiegervaters.

(Die frauenrechtlerische Seite von Godwins – oder auch Condorcets! – Wirken spielte übrigens in dieser Auseinandersetzung keine Rolle – es ging dabei primär um das neue Gesetz zur Unterstützung der Armen.)

2) In der Biologie gilt m.W. dieses Gesetz bis heute: Das Reh frisst so lange junge Tännchen, bis im Wald kaum noch Tännchen existieren, was nun wiederum heisst, dass die Population der Rehe sinkt, bis wieder genügend Tännchen nachgewachsen sind, um mehr Rehe erhalten zu können. Wenn dann im Wald noch Wölfe sind, greifen natürlich mehrere solche Kreisläufe in einander und bilden ein mehr oder weniger fragiles Gleichgewicht.

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