Das sog. e-book treibt ja die Gemüter der Lesenden schon länger herum. Ich selber besitze keine Lesegerät, verspüre auch nicht den Wunsch, mir eines zuzulegen. Natürlich gibt es gewisse Texte – ältere Philosophen z.B.-, die nur elektronisch einfach zugänglich sind. Und das Lesen mit diesen Lesegeräten soll tatsächlich angenehmer sein als das Lesen an einem Computerbildschirm. Ich will auch keinen Fortschritt nicht aufhalten; und ob das e-book nun über das Papierbuch siegen wird oder schon gesiegt hat, wage ich nicht zu bestimmen.
Technisch ist das e-book sicher ein Fortschritt, aber in der Art und Weise, wie es momentan gehandhabt wird, kann ich nur einen Rückschritt ins finstere Mittelalter feststellen. Gutenberg hat mit seiner Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metall-Lettern das Lesen demokratisiert. Mit der Einführung des Taschenbuchs war es praktisch für jeden, der wollte, möglich, sich ein Buch zu kaufen. Wer nicht kaufen konnte oder wollte, trat einem Lesezirkel bei oder einer öffentlichen Bibliothek. Oder man graste die Brockenhäuser ab, und die Antiquariate, wo selbst neueste Literatur meist sehr schnell und in neuwertigen Exemplaren für lau auftauchte. Selbst der keineswegs aus reichem Hause stammende kleine Gymnasiast sandhofer konnte sich, wenn er sich den Django im Kino verkniff, mal ein neues Reclam-Heftchen oder zwei leisten.
Das e-book schliesst den gerade erst geöffneten Kreis wieder. Lesen wird wieder zur Sache von Initiierten. So, wie im Mittelalter nur Mönche Zugriff auf Bücher hatten und Bücher kopieren durften bzw. konnten, ist es fürs e-book unumgänglich, dass ich mich im Orden der Kindleaner oder der Koboisten oder was auch immer einkaufe. Sprich: Als erstes brauche ich ein elektronisches Gerät. Dann muss ich dieses Gerät mit Dateien füttern. Da ist es dann so, dass keineswegs jedes Gerät jede Datei akzeptiert. Das Ganze erinnert arg an die Streitigkeiten an der Sorbonne zwischen Benediktinern und Franziskanern. Wenn deine Datei die Endung „.franz“ trug, war sie unter Garantie inkompatibel mit einem Lehrstuhl, der nur „.ben“ verarbeiten wollte. Du konntest sie, so du den Aufwand nicht scheutest und die nötigen Kenntnisse hattest, natürlich anpassen. Damit bist du allerdings bei deinen franziskanischen Oberen schlecht angekommen. Ein Ausschluss aus dem Orden, wenn nicht sogar aus der Christenheit, war dir sicher. Damit war auch dein Zugriff auf die franziskanische Bibliothek futsch. Die Benediktiner hatten zwar auch eine, aber da standen andere Bücher drin. Unter Umständen andere eben, als du lesen wolltest. Für den Ausschluss waren die Oberen dir, nebenbei gesagt, keinerlei Erklärung schuldig, sie gingen im Gegenteil davon aus, dass du schon wusstest, warum sie so handelten. Im genau gleichen Stil kann eine DRM-geschützte Datei jederzeit von deinem Lesegerät gelöscht werden und dein Zugang selbst zu bereits gekaufen und bezahlten Dateien gesperrt. Und solche Dinge geschehen auch – im 21. Jahrhundert.
Ich habe bei der Internetsuche nach dem Erscheinungsjahr meiner Ausgabe von Augustins Bekenntnissen feststellen müssen, dass zumindest die über KVK abrufbaren deutschen und österreichischen Bibliotheken kein einziges Exemplar meiner Edition führen, und vermute daher, dass hier nationalsozialistische Säuberungen stattgefunden haben. Man stelle sich vor, der Nationalsozialimus hätte bereits die Möglichkeiten gehabt, die Vertrieb und Kontrolle DRM-geschützter Dateien heute bieten! Nicht nur in öffentlichen, nein auch in privaten Bibliotheken hätte die Heiligen-Übersetzung eines Juden gelöscht werden können. Sogar in Ländern, die im Grunde genommen einer ganz andern Jurisdiktion unterworfen sind, hätte die Säuberung stattfinden können. (Heute finde ich nach wie vor Exemplare der Poritzky-Übersetzung in Schweizer Bibliotheken.)
Meine Ausgabe der Bekenntnisse ist auf Umwegen über einen Erbgang zu mir gekommen. Der Erbe konnte mit der kleinen Bibliothek seines Vaters nicht viel anfangen, und so bin ich zufälligerweise an ein paar Klassikerausgaben aus den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gekommen. Was halt so in einer bildungsbürgerlich orientierten Hausbibliothek stand. Ein e-book mit DRM könnte ich niemand vermachen. Ich habe dafür zwar nicht viel weniger bezahlt als für ein normales Buch, aber ich erhalte ja nur sog. „Nutzungsrechte“. So lange das Lesegerät noch funktioniert, auf dem die Datei gespeichert ist, mögen auch meine Erben das Buch noch lesen können. Aber Lesegeräte werden wohl eine ähnlich lange (bzw. eben kurze) Lebensdauer haben wie alle elektronischen Geräte. Und wenn der Lehrstuhlinhaber gestorben ist, wird sein Nachfolger, auch wenn er offiziell immer noch „.franz“ unterstützt wie sein Vorgänger, die alten Texte u.U. nicht mehr akzeptieren.
Warum viele Lesegeräte, von denen ich höre, dann doch wieder das Papierbuch imitieren, indem sie den Text auf Seiten formatieren und dann sogar das Geräusch des Umblätterns imitieren, wenn das e-book doch etwas ganz anderes sein soll, verstehe ich ebenfalls nicht. (Abgesehen davon, dass dieses Geräusch des Umblätterns, das auch in Filmen gerne vorkommt, in der Wirklichkeit kaum existiert. Es braucht dazu nämlich sehr grosse Seiten, also Folianten, wie sie die wenigstens von uns zu Hause haben. Und eine gewisse Achtlosigkeit, ja Brutalität, beim Umblättern, die sehr rasch dazu führt, dass die Seiten einreissen, weshalb diese Methode bei Bibliothekaren und Antiquaren gar nicht gern gesehen ist.)
Last but not least: Angenommen, ich habe einen 15-jährigen Neffen, von dem ich mir wünsche, dass er etwas mehr läse. Noch kann ich in eine Buchhandlung gehen, mich dort beraten lassen (doch, doch, das funktioniert in den meisten Fällen auch heute noch!), auf das Schmutzblatt des ausgewählten Buchs dann noch eine Widmung schreiben („Meinem Neffen – Weihnacht 2012 – Dein Dich liebender Onkel“), das nette Personal der Buchhandlung wickelt ein Geschenkpapier drum, und an Weihnachten wird das Buch unterm Tannenbaum des Neffen liegen. (Er wird deswegen nicht mehr lesen, aber ich hab’s wenigstens versucht.) Mit dem e-book wird das anders. Eine Widmung bringe ich vielleicht noch hin – die meisten Lesegeräte haben ja die Möglichkeit einer Kommentarfunktion, so viel ich weiss. Geschenkpapier wird schon schwieriger. Von meinem Lesegerät auf das des Neffen transferieren: Zuerst muss der Neffe mal eines haben (dann liest er aber wahrscheinlich sowieso schon). Dann muss sein Gerät meine Dateiform akzeptieren. Und selbst dann werde ich DRM-geschützte Dateien wohl nicht transferieren können.
Ich lasse mich gern eines besseren belehren. Aber aktuell ist das e-book für mich keine valable Alternative zum guten alten Buch auf Papier.
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